Ein silbernes Hufeisen
weswegen er sich auf keinen Fall auch nur die winzigste Hoffnung machen durfte. Und dennoch konnte er es mit einem Mal kaum noch erwarten, dass der Schmied endlich mit seiner Arbeit fertig war. Solange er aber weiter Tonys Pferd bearbeitete, erkundigte sich dieser noch einmal ausführlich nach dem Weg zu besagtem, mysteriösem Haus. Er wolle der alten Abigail seine Aufwartung machen, beteuerte er, und sein Gegenüber zeigte sich von einem derart galanten Verhalten sichtlich beeindruckt.
Natürlich dachte Tony nicht lange darüber nach, welchen Weg er einschlug, als sein Pferd endlich bereit war, denn was sollte er verlieren, wenn er zumindest einmal einen kurzen Blick riskierte? Wäre sie nicht dort, dann wäre alles wieder wie zuvor und wenn – denn auch dies war eine sehr kleine Möglichkeit – sie aber tatsächlich dort sein sollte, was wäre dies für ein unglaubliches Glück für ihn und sein geschundenes Herz und welch ein Zufall? Ein Zufall, der beinahe schon an Schicksal grenzen würde, wäre es und zudem auch ein Schicksal, welches er kaum verdient hätte, denn er hatte sie bereits aufgeben wollen. Nun, er musste ruhig bleiben, sagte er sich beharrlich. Noch hatte er nichts gesehen und alles war voll und ganz unsicher.
Weil er ein schneller und geübter Reiter war, kam er schließlich unter einer Stunde an sein Ziel. Dennoch war es nun bereits spät am Nachmittag geworden, und die Sonne stand tiefer. Sie brannte jedoch nach wie vor unerbittlich, als er endlich das niedrige Gartentor aus Holz erreichte, das von einigen akkurat getrimmten, frischen und grünen Büschen gesäumt wurde. Das Haus war wirklich nicht sonderlich groß, wie man es ihm berichtet hatte, aber es hatte eine hübsche Farbe, die Guinievaire, die eine Fachfrau war in allen Fragen der Inneneinrichtung, wohl als dunkle Eierschale bezeichnet hätte, und zudem gab es kleine, weiß gestrichene Fensterrahmen. Eine elegante, steinerne Treppe führte zur Eingangstür und hinten links befand sich ein außergewöhnlicher Turm mit einem spitzen Dach, der das Anwesen wie ein kompaktes Märchenschloss erscheinen ließ. Es war also für sich, alles in allem, sehr entzückend. Wirklich spektakulär war jedoch allein der Garten, in dessen Mitte es stand: umgeben von einer niedrigen Steinmauer, an der Tony neugierig entlang ritt, gab es die buntesten Büsche, Kirschbäume, einen Teich und einen Pavillon. Sonnenblumen streckten sich an den Wänden hinauf, hinten lag schließlich eine Terrasse, auf der strahlend weiße Gartenmöbel standen und die von Gardenien, Rosen und hellen, gelben Tulpen gesäumt wurde. Dies hier war unmöglich ein Gefängnis, dachte Tony, dem es recht schwer fiel, zu glauben, dass an solch einem Ort etwas Schlechtes vor sich gehen konnte. Bei einer grauen Weide, die hinter der Mauer außerhalb des Grundstücks stand und von welcher Tony einen sehr guten Blick auf das Türmchen hatte, hielt er schließlich an und saß ab. Was er vorhatte, war albern, aber warum sollte er es nicht tun? Natürlich würde sie nicht dort oben am Fenster stehen als warte sie nur darauf, dass er endlich auftauchte. Vermutlich war sie noch nicht einmal hier, aber warum sollte er nicht sicher gehen? Er musste es wirklich und vollkommen genau wissen.
Im obersten, dritten Stock gab es drei kleine, etwas angewinkelte Fenster in der Wand, welche Tony genauer betrachten wollte. Dazu schirmte er sich die Augen mit einer flachen Hand und hob den Kopf, um seine Sicht etwas zu verbessern und dabei schien es ihm zunächst einfach dunkel zu sein hinter diesen Scheiben. Und außerdem konnte in diesem schmalen Turm wirklich nur ein sehr kleines Zimmer Platz finden, in welches selbst der größte Unmensch seine Tochter nicht schon für mittlerweile fünf Monaten eingesperrt hätte. Tony seufzte, unerfreut über das lächerliche Bild, das er abgeben musste. Dann glaubte er jedoch mit einem Mal Schatten zu sehen in den Fenstern – Schatten, die sich bewegten, also harrte er weiter aus und versank in Gedanken. Sie war hier, fürchtete und hoffte er. Sie war hier und sie hatte auf ihn gewartet, oder etwa nicht? Langsam begann sein Kopf dabei, zu schmerzen, genau wie sein Nacken, aber Tony rühre sich nicht vom Fleck, wofür er schließlich sogar belohnt wurde: gerade als die Anspannung ihm unerträglich zu werden schien, tauchte endlich ein Etwas am Fenster auf. Sein Herz machte ob dieses Anblicks sofort einen Sprung, sank dann aber schon nach wenigen Sekunden ebenso
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