Ein silbernes Hufeisen
grausigen Vater entschuldigen.
Also hatte sie sich ganz alleine einen Plan zurecht gelegt, mit dessen Hilfe sie ihrem Verlies entkommen konnte und für den man kein Genie hatte sein müssen, der jedoch ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit erforderte, an der es Guinievaire glücklicherweise ganz und gar nicht mangelte. Länger in Shropshire zu bleiben war keine Option für sie, so hatte sie beschlossen, und es gab nur einen einzigen Weg aus ihrem Zimmer, nicht wahr?
Endlich fertig mit ihren ausgiebigen Vorbereitungen trat sie aus der winzigen Zelle, die sich ihr Bad schimpfte, zurück in ihr Zimmer, um einen letzten, prüfenden Blick aus dem Fenster zu werfen. Im Garten war Marion nicht zu entdecken, was bedeuten musste, dass er sich bereits auf dem Weg zu ihr befand, also eilte Guinievaire hinüber zu ihrem unordentlichen Bett, zog die Laken etwas zurecht, dann legte sie sich nieder, mit dem Kopf in der schattigen Ecke. So positioniert winkelte sie das Bein etwas an und ordnete sich das Haar, drapierte den dünnen Rock korrekt und rückte schließlich das Korsett zurecht, wobei sie heute eines ihrer teuersten und engsten Stücke trug. Sie hatte immerhin nicht vor, halbherzig zu sein. Schließlich streckte sie die Arme und atmete tief ein. Sie schloss die Lider und wartete und sammelte sich, und dann war sie endgültig bereit für ihr kleines Stück in einem Aufzug, welches ihr mit etwas Glück und Können vielleicht schon an diesem unerträglichen Tage die Pforten in die Freiheit öffnen würde.
Anschließend dauerte es nicht mehr lange, da klopfte es vorsichtig an ihrer verhassten Tür. Dann wurde der Schlüssel in das Schloss gesteckt und umgedreht und dann trat endlich Marion ein, das Tablett mit ihrem Frühstück in den langen, etwas schmutzigen Händen, wie sie durch ein neugierig geöffnetes Auge erkennen konnte. „Guten Morgen,“ wünschte er ihr fröhlich, als er sie auf ihrem Bett erblickte.
Guinievaire schlug die Augen nun offiziell auf, dabei lächelte sie sofort ihr strahlendstes Lächeln, so als sei es das Herrlichste auf der weiten Welt, ihn in diesem Augenblick zu erblicken. Dann klopfte sie mit der flachen Hand auf die Matratze neben sich. „Guten Morgen,“ erwiderte sie sogleich und stützte sich auf die Ellbogen. „Komm herüber zu mir, ich kann mich leider keinen Zentimeter bewegen bei diesen grauenhaften Temperaturen.“
Verständnisvoll und bester Laune sah Marion sie daraufhin aus seinen leuchtend hellblauen Augen an, wobei er artig ihren Anweisungen folgte. „Hast du Hunger?“ fragte er voller Umsicht, als er schließlich neben ihr saß. Guinievaire schüttelte jedoch lediglich den Kopf und ließ ihn zugleich nicht aus den Augen.
Welch unverschämtes Glück sie doch einmal wieder mit ihm gehabt hatte, dass sie ausgerechnet in einem Haus in seinem Garten eingesperrt worden war und dass ausgerechnet er mit ihrer Bewachung beauftragt worden war. Gäbe es nicht Marion, überlegte sie, während sie nach dem großem Glas Wasser auf seinem dargebotenen Tablett griff und in langen Schlücken trank, dann wäre ihre Flucht unmöglich. Wie gut er doch aussah für einen Mann seines Standes, für einen Gärtner, selbst wenn er diese schmutzigen, weiten Hemden trug und seine erdigen Hosen. Seine Haut hatte eine gesunde Bräune und spannte sich nicht allein über seine mächtigen Knochen, sondern auch über eine beträchtliche Anzahl an schlanken Muskeln, wie sie Guinievaire zuvor an noch keinem Mann gesehen hatte – vermutlich weil dies der erste Mann war, den sie kannte, der tatsächlich einer körperlich anstrengenden Arbeit nachging. Am besten an ihm gefielen ihr jedoch seine Augen, die so hell strahlten, dass es beinahe übernatürlich zu sein schien. Und außerdem sein blonder, sehr kurz rasierter Schopf, seine ebenso blonden Brauen und der hübsche, kurze Bart von wenigen Millimetern, der sein Kinn und seinen Hals kaum sichtbar bedeckte. Zusammen mit seiner etwas krummen Adlernase und seinen absonderlich großen Händen erweckte er alles in allem einen furchtbar gesunden und lebensfrohen und zugleich auch einen leicht verwegenen Eindruck, den Guinievaire sehr gerne hatte.
Ebenso wie sie ihn sehr gerne hatte und seinen Charakter, zumindest das, was sie bisher von ihm kannte: während der Wochen seiner Gesellschaft hatte sie bereits feststellen können, dass er ihr beinahe unheimlich ähnlich war und zugleich ganz anders als sie – ihre Persönlichkeiten glichen sich, aber ihre
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