Ein sinnlicher Schuft
kapiert sie, dass Sie auch keine Ahnung haben, und hat nie wieder Respekt vor Ihnen.«
Colin schaute bestürzt auf Melodys Köpfchen an seiner Brust. »Und was, wenn ich Ahnung habe?«
»Is egal. Sie werden sie nie davon überzeugen.« Sie zuckte die Achseln. Colin beobachtete gebannt, wie sich die Bewegung auf die weiche Fülle in ihrem Mieder auswirkte. Nicht dass er an ihr interessiert wäre, aber er hatte schließlich Augen im Kopf.
Eine Weile saß sie bloß schweigend da, bis sie wieder zu reden begann. »Also…« Ihr Tonfall klang gelangweilt. »Sie suchen nach Chantal?«
Für Colins Geschmack gab sie sich ein bisschen zu vertraulich. »Sie meinen wohl Miss Marchant?«
Ihre Finger umklammerten den Bühnenrand. »Tschuldigung, Chef. Ich dachte bloß, Sie wollten vielleicht wissen, wohin Miss Marchant is.«
Aha. Endlich kamen die Karten auf den Tisch. Nun, er würde ihr ein paar Schillinge geben, falls sie etwas zu erzählen wusste. »Was wird es mich kosten?«
Sie sah ihn von der Seite an. »Fünfe.«
Er stieß einen trockenen Laut aus. »Netter Versuch.«
»Dann drei.«
»Schilling oder Pfund?«
Sie verzog die Lippen in widerwilligem Respekt. »Na gut, Schillinge.«
Colin zuckte die Achseln. Was sollte es schon, zumal sie aussah, als würde sie es dringend brauchen. »Abgemacht. Wo ist sie also?«
»Erst das Geld.«
Er griff in seine Westentasche und nahm drei Schillinge heraus, legte sie auf seine Handfläche und zeigte sie ihr. »Sie sehen, dass ich sie habe. Wenn Sie also etwas zu erzählen haben…«
Sie zog die Augenbrauen hoch und schnaubte verächtlich. »Und dann gehn Sie, ohne was zu zahlen.«
»Na schön. Dann darf ich dreimal eine Frage stellen. Bei jeder Antwort gibt es einen Schilling.«
Sie musterte sein Gesicht, dann zuckte sie gekränkt die Achseln. »Na gut, fangen wir an.«
Colin nickte amüsiert. Sie war ein merkwürdiges Geschöpf. »Warum wissen Sie etwas über Chantal?«
»Prudence Filby, Näherin und Garderobiere von Miss Chantal Marchant, stets zu Diensten.« Sie lächelte und neigte graziös den Kopf. Mist, sie war wirklich anmutig. Zu dumm, dass sie sich so gewöhnlich benahm. Und dann diese Sprache und erst recht der Junge…! Aber er war schließlich nicht auf Brautschau, sondern suchte Chantal.
Er ließ einen Schilling in ihre ausgestreckte Hand fallen. »Sehen Sie, ich bin ein Gentleman. Ich zahle meine Schulden.« Bei diesen Worten stieß sie ein kehliges, unfrohes Lachen aus, und er fuhr fort. »Zweite Frage…« Unwillkürlich musste er an den Jungen denken. Er sah seiner Mutter so ähnlich, dass es schwierig war, etwas zu entdecken, was von seinem Vater stammen konnte. »Wer ist Evans Vater?«
Moment, das hatte er gar nicht fragen wollen.
Sie wurde ein wenig blass und wich zurück. »Warum wolln Sie das wissen?«
Er räusperte sich und zwang sich dazu, nicht rot zu werden. »Ich bin es, der die Fragen stellt. Wer also ist der Vater Ihres Sohnes?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Er ist tot.«
»Dann sind Sie verwitwet?« Warum konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Vielleicht weil ihn, seit sie Melody ausgesetzt auf den Treppen des Clubs gefunden hatten, das Schicksal vernachlässigter Kinder beschäftigte?
Sie schaute hinab auf die alten, jedoch sehr sauberen Stiefel. »Ich war nie verheiratet.«
Eine unbehagliche Stille entstand. »Sie haben recht. Das geht mich nichts an.«
Sie sah ihn von der Seite an. Ihre Mundwinkel zuckten. »Er is mein kleiner Bruder, Chef.«
Machte sie sich über ihn lustig? »Entschuldigung.« Er ließ den Schilling in ihre Hand fallen und kam sich wie ein Schuft vor. Das hatte er nun von seiner Neugier.
»Dritte Frage: Wo ist Chantal?«
Sie zuckte die Achseln. »Kann ich Ihnen nich sagen. Wollte es niemandem verraten. Wegen der Schulden, die sie überall hat.«
Chantal und Schulden? Überraschend bei all den Zuwendungen, mit denen ihre reichen Verehrer sie bedachten, fand Colin.
Doch…
Die Mutter hat kein Geld mehr geschickt.
Melodys Pflegemutter hatte sie vor dem Gentlemen Club abgesetzt, weil sie nicht mehr bezahlt worden war. Schulden würden da vieles erklären, vor allem solche, denen man sich durch Flucht entziehen musste.
Selbst das Timing passte.
Miss Filby redete noch immer. »…aber ich weiß, mit wem sie abgehauen is.«
»Sie ist… mit einem Mann davongelaufen?« Colin versetzte es einen Stich, und er verspürte wieder das vertraute Gefühl von Eifersucht. »Mit wem?«
»Lord Bertram Ardmore.
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