Ein sinnlicher Schuft
Der mit den pinkfarbenen Westen.«
»Mit Bertie?« Melody bewegte sich im Schlaf auf seinem Schoß, weshalb er seine Stimme zu einem entrüsteten Flüstern senkte. »Mit diesem winselnden Hündchen?«
Sie zuckte die Achseln und streckte die Hand aus. »Chantal meinte, sie würden prima zusammen aussehen.«
Die Eifersucht schlug in Wut um. »Mit diesem albernen Schönling! Mein Gott!«, sagte er und ließ den letzten Schilling in ihre Hand fallen.
Die geschäftstüchtige junge Miss erhob sich leichtfüßig und grinste. »Nehmen Sie’s nich so schwer, Chef. Ich weiß zufällig, dass er nich wirklich Chantals Fall is. Zu weiblich, wenn Sie verstehn, was ich meine.«
»Ich weiß.« Er schloss die Augen und schüttelte sich. »Das macht es ja gerade so schrecklich.«
Miss Prudence Filby schaute ihn mitleidig an. »Dann nix wie los. Sie müssen sich beeilen. Sie hat vor, ihn auf der Stelle zu heiraten.«
Heiraten? Chantal zog tatsächlich in Erwägung, diese Karikatur eines Mannes zu heiraten?
Was aber noch viel schlimmer war, und diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: Falls Chantal wirklich Melodys Mutter war, was er kaum noch bezweifelte, dann wäre diese Eheschließung eine Katastrophe. Zumindest falls sie beschließen sollte, das Kind zurückzufordern. Dann würde die arme Kleine bei einem anderen Mann aufwachsen, ihn als Vater betrachten, und für Colin wäre sie verloren. Für immer.
Und im anderen Fall, wenn Melody bei ihm bleiben dürfte als anerkanntes illegitimes Kind? Natürlich würde sie alle Liebe von ihm bekommen und die beste Erziehung, aber ein Teil der guten Gesellschaft konnte sie nicht werden. Ihre Chancen wären von vornherein begrenzt. Auch diese Aussicht schnürte Colin die Kehle zu, und im verzweifelten Verlangen, sie zu schützen, schloss er die Arme fester um sie, wogegen sie im Schlaf leise protestierte.
Er musste schnellstmöglich Chantal auftreiben, durfte keine Zeit mehr verlieren. Doch was sollte er mit Melody anstellen? Sie mitnehmen? Nicht ganz einfach, aber sie zurückzulassen, das kam erst recht nicht infrage.
Prudence Filby hob ihr Bündel auf und schickte sich an zu gehen. »Ich muss die Kutsche kriegen, Chef. Hier in Brighton gibt’s keine Arbeit für mich. Evan und ich gehn nach London.«
»Sie wollen den ganzen Weg nach London auf dem Dach einer Postkutsche fahren? Teilweise ist es noch recht kühl. Das bringt Sie um!«
Er starrte die zierliche Gestalt an. Sie hatte Erfahrung im Umgang mit Kindern, wusste zumindest einiges über Chantals Pläne, und sie stand quasi auf der Straße. Die notleidende junge Miss war ein Geschenk des Himmels: Sie konnte Melody betreuen und ihm bei der Suche nach Chantal helfen.
»Melody und ich werden zwar eine Weile unterwegs sein, um Chantal aufzuspüren, aber dann fahren wir wieder nach London zurück. Warum begleiten Sie und Ihr Bruder uns nicht einfach?«
Drittes Kapitel
P rudence erstarrte, als Colin sie erwartungsvoll anschaute.
»Ich weiß nicht, wie viel Kindermädchen verdienen«, sagte er. »Wie wäre es mit den fünf Pfund, die Sie eben erwähnt haben? Reicht das?«
Fünf Pfund! Sie konnte es kaum glauben.
Ich werd verrückt. Ich weiß, dass ich verrückt werd, aber ich nehm das Angebot von diesem seltsamen Mann an.
Sie biss die Zähne zusammen, um nicht vorschnell ihre Zustimmung zu geben. Ihre Finger schlossen sich um die Schillinge in ihrer Tasche. Drei Schillinge. Wenn sie gut achtgab, reichte das für die Fahrt nach London und eine Woche einfaches Essen und eine sichere Unterkunft, während sie sich eine Arbeit suchte.
Eine Anstellung, die sie möglicherweise nicht bekam.
Und selbst wenn, wer sagte denn, dass ihr neuer Dienstherr nicht genauso war wie Chantal? Dann hätte sie das Geld schießen lassen.
Fünf Pfund.
Ein Vermögen. Brot und Fleisch. Ein sicherer, stiller Ort, an dem sie leben konnten. Ein richtiges Bett, ein beheiztes Zimmer. Nicht für einen Tag oder eine Woche. Nein, für Monate. Wenn sie selbst kein Fleisch aß, würde es vielleicht sogar ein ganzes Jahr oder noch länger reichen.
Fünf Pfund, damit sie auf ein kleines Mädchen aufpasste. Himmel, das hätte sie auch ohne Bezahlung getan.
Sie schaute den gut aussehenden Mann, der vor ihr stand, an. Wer war dieser Mr Lambert? Männer wie er heuerten keine Kindermädchen an. Die hatten Angestellte, eine ganze Armee, die sich um so etwas kümmerten. Männer wie er… Nein, sie wusste nicht, was Männer wie er zu tun pflegten, weil sie einem
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