Ein skandaloeser Kuss
verkleiden und als Matrose anheuern.“
„Mit wenig Aussicht auf Erfolg. Du bist viel zu hübsch, und deine Figur würde dich verraten.“
„Nicht wenn ich mir die Brüste binde, die Haare kurz schneide und Schmutz ins Gesicht reibe.“
„Was nur zeigt, wie wenig du weißt über das Leben auf See. Es gibt keine Privatsphäre an Bord eines Schiffs von der Größe, die meins haben wird.“
Sein Brustkorb hob sich unter einem tiefen Seufzer. „Ich bin nicht glücklich darüber, dich zu verlassen, und die Vorstellung, dich bei mir zu haben, ist sehr verführerisch.“ Er streichelte ihren Nacken. „Aber es ist nicht nur das Leben an Bord, das schwierig ist. Man muss mit Stürmen und Schiffbrüchen rechnen, mit Eingeborenen, bei denen man vorher nicht weiß, ob sie einen willkommen heißen oder ob man für sie eine nahrhafte Zutat zur Suppe ist. Und Piraten sind nicht die fröhlichen Räuber, als die die Balladen sie darstellen, sondern brutale Rohlinge, und wenn man ihnen als Frau in die Hände fällt, ist ein schneller Tod eine Gnade. Ich habe erlebt, wie …“ Er unterbrach sich und holte tief Atem. „Ich würde dich töten, ehe ich zuließe, dass du in die Hände von Piraten fällst.“
„Was du sagst, klingt furchtbar“, sagte sie leise. Ihre Angst um ihn wuchs, jetzt war sie mehr denn je in der Versuchung, zu tun, worum Lady Granshire sie gebeten hatte – jedes Mittel einzusetzen, um ihn von der Reise abzuhalten.
Und was dann? Heiraten konnten sie nicht, und sie wäre diejenige, die ihn daran gehindert hätte, seine Träume zu verwirklichen.
Sie rückte ein Stück von ihm ab. „Es wird Zeit, dass ich gehe.“
Er legte ihr die Hand auf den nackten Arm. „Wenn es das Mittelmeer wäre oder die Küste Afrikas, sogar die Westindischen Inseln – ich würde dich mitnehmen. Aber nicht, wohin ich segle. Das Risiko ist zu groß, und dass ich mein Leben aufs Spiel setze, heißt nicht, dass ich bereit bin, das auch mit deinem zu tun.“
Sie nickte und stieg aus dem Bett. Als sie nach ihrem Morgenrock griff, zitterte sie in der kühlen Nachtluft.
„Bleib im warmen Bett.“ Sie versuchte heiter zu klingen. „Ich finde allein hinaus.“
Doch er stand ebenfalls auf. „Ich möchte dich zur Tür begleiten.“
Sie beobachtete ihn, wie er in seine Hose schlüpfte. „Wenn die adligen Damen wüssten, was für ein Körper sich unter deiner Kleidung verbirgt, würden sie dir schamlos nachstellen.“
Er lachte. „Sie fallen mir ohnehin schon lästig genug. Ich würde sie ganz sicher nicht ermutigen wollen.“
Das zerrissene Nachthemd über dem Unterarm, durchquerte Nell den Raum. Bei der Tür holte er sie ein. „Du bist die wundervollste, bemerkenswerteste Frau, die ich je getroffen habe, Nell Springley. Und wenn ich je eine Frau bitten würde, auf mich zu warten, wärst du es.“
Bitte mich! flehte sie im Stillen. Bitte mich, und ich warte auf dich.
Er nahm ihre Hand und hob sie sich an die Lippen. „Gute Nacht, Miss Springley.“
Als sie in den Korridor trat, war sie sich einer Sache ganz sicher. Sie würde auf ihn warten, auch wenn er sie nicht darum bat.
An einem Vormittag ein paar Tage später ließ die Countess nach ihrem Sohn schicken.
„Du wolltest mich sehen, Mutter?“, fragte Bromwell, als er den Salon seiner Mutter betrat.
Wie gewöhnlich ruhte Lady Granshire zurückgelehnt auf ihrer Chaiselongue. Sie wirkte blass an diesem Morgen, und unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
Bromwell machte sich Vorwürfe. Er hatte noch immer nicht mit Dr. Heathfield über ihre Arzneien gesprochen, und das hätte er längst tun sollen, obwohl er am liebsten die ganze Zeit mit Nell zusammen war. „Hast du gestern wieder Schokolade getrunken?“ Er hatte mehrfach beobachtet, dass das Getränk die Lebensgeister seiner Mutter weckte, sodass sie nachts nicht schlafen konnte, wenn sie es abends trank.
Wie zu erwarten, schrieb sie ihre Schlaflosigkeit einer anderen Ursache zu. „Wie soll ich Ruhe finden, wenn du wieder auf Expedition gehen willst?“
Er antwortete nicht darauf und setzte sich stattdessen in einen Sessel ihr gegenüber.
„Ich habe einen Brief von deinem Vater bekommen“, fuhr Lady Granshire fort. „Er wünscht, dass du so schnell wie möglich zu ihm nach Bath kommst. Anscheinend braucht er deinen Rat in einer Geldangelegenheit.“
Bromwells Erleichterung, dass seine Mutter ihn nicht wegen Nell zu sich gebeten hatte, wich einer verblüfften Neugier.
Sein Vater wünschte
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