Ein Sommer mit Danica
und rannte in die Küche, die nassen Handtücher zu holen.
31
Erst gegen 9 Uhr vormittags gelang es Danica, mit dem zuständigen Kommissar zu sprechen und Corells Verschwinden anzuzeigen. Vorher war sie noch zur Hauptpost gefahren, mit der Straßenbahn, um Geld zu sparen, und hatte wieder in slowenischer Sprache ein Telegramm nach Piran aufgegeben.
»Sascha heute nacht verschwunden. Ich habe Angst. Danica.«
Man kann sich denken, wie dieser Text bei den Robics einschlug, als Duschan Dravic, der vom Posthalter Tomislav Tadic, diesem armen rheumakrummen Menschen, benachrichtigt wurde, mit dem Telegramm erschien. Tomislav hatte es für seine Pflicht gehalten, die Polizei zuerst davon zu unterrichten, da es sich offensichtlich um einen kriminellen Fall handelte.
»Es ist zwar gegen die Vorschriften, Duschan«, sagte Tadic, »und verletzt das Postgeheimnis – aber Geheimnis hin, Geheimnis her – wir alle sind in der Not eine einzige große Familie, und Petar kommt in große Not. Lies das, Duschan, und entscheide, ob es eine polizeiliche Dienstsache werden kann.«
Duschan Dravic überflog die wenigen Worte, bekam einen roten Kopf vor Aufregung und nickte mehrmals. »Es ist eine polizeiliche Sache, Tomislav! Und was für eine! Wer hat immer gesagt: Diese Liebe zwischen Danica und Sascha ist ein Unglück? Ich! Nun haben es die Robics! Sie werden nie zur Ruhe kommen! Überlaß es mir, ihm das Telegramm auszuhändigen. Petar ist mein bester Freund, er wird meinen Zuspruch brauchen …«
Robic brauchte keinen Zuspruch – er brauchte jemanden, der ihn festhielt.
»Dieses Unglück!« brüllte er, und jetzt war auch Stana entsetzt und saß auf dem Stuhl neben dem Herd und weinte. »Verschwunden! Ist weg und läßt mein Töchterchen allein in der großen, fremden Stadt! Natürlich hat sie Angst! Wer wird keine Angst haben unter lauter Deutschen? Meinen Koffer, Stana! Ich fliege sofort nach Frankfurt!«
»Wir haben nicht mehr das Geld dazu, Petar –«, sagte Stana und schluchzte. »Du hast alles in Frankfurt gelassen, was wir hatten.«
»Auch das noch!« Duschan hielt Petar mit beiden Armen umfaßt, weil Robic ohne Rücksicht auf seine Gesundheit um sich schlug und sich bestimmt an vorstehenden Kanten verletzt hätte. »Wie kann man nur so dämlich sein.«
»Ich leihe mir Geld! Ich verpfände mein Haus! Danica hat Angst … o du lieber Himmel, das hat sie noch nie gesagt: Ich habe Angst!« Robic riß sich los, rannte ins Schlafzimmer, warf alles, was er mitnehmen wollte, aufs Bett und suchte seine schwere sowjetische Pistole, die er bisher hinter den Unterhosen versteckt hatte. Stana hatte sie weggepackt und war auch dann nicht bereit, das neue Versteck zu verraten, als Robic drohte, die ganze Einrichtung zu zertrümmern, denn dann würde sie ja irgendwo auftauchen. Duschan Dravic war unterdessen zu seiner Dienststelle zurückgegangen, hatte auf dem Weg dorthin Tomislav Tadic verständigt und schickte nun seine drei Polizisten aus, bei Robics guten Freunden anzuklopfen.
Nach einer Stunde kam er zu Petar zurück, der erschöpft auf einem Stuhl hockte, den gepackten Koffer zwischen den Füßen, und sich auf Betteln verlegt hatte. Aber auch das half nichts … Stana gab die Tokarev nicht heraus.
»Hier –«, sagte Dravic und legte einen Haufen Dinarscheine auf den Tisch. »Eine Schnellsammlung. Es reicht für hin und zurück. In solchen Nöten zeigt es sich, daß Piran aus einem einzigen, brüderlichen Herzen besteht. Petar, der Bus fährt um 12 Uhr nach Ljubljana. Spute dich –«
Robic steckte die Scheine ein. Tränen schossen ihm in die Augen. »Das vergesse ich euch nie –«, sagte er heiser vor Ergriffenheit. Er stand schwankend auf, ergriff seinen Koffer und sah hinüber zu Stana.
»Nein –«, sagte sie hart.
»Was heißt nein?« fragte Dravic verblüfft.
»Sie läßt mich schutzlos gehen.« Robic marschierte zur Haustür. »Wie soll ich mich in Frankfurt mit Bizeps-Karle unterhalten?«
Duschan starrte Robic nach und legte seine Stirn in Falten. »Trag es mit Tapferkeit, Stana –«, sagte er leise. »Der Kummer hat ihn umnachtet. Aber er wird wieder der alte sein, wenn er Danica mitgebracht hat –«
*
In Frankfurt hatte man unterdessen ein Protokoll aufgenommen. Danica hatte es unterschrieben, ein Foto von Dr. Corell zu den Akten gegeben und wartete nun, was geschehen würde. Sie saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Kommissars, die Hände im Schoß, mit leeren, großen Kinderaugen, blaß von
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