Ein Sommer mit Danica
die Ellenbogen auf die Oberschenkel und legte ihr Gesicht in die Hände. Die engen Jeans lagen wie eine zweite Haut um ihre Beine. Der graue, verwaschene Pullover spannte sich in dieser Sitzhaltung und verriet die Form einer größeren Brust, als Corell angenommen hatte. Dorothea war weiblicher als ihr Haarschnitt und ihre revolutionären Parolen.
»Das ist schön –«, sagte Corell.
»Was?«
»Daß Sie über mich nachgedacht haben. Wann lassen Sie mich frei?«
»Wie lange wird die Krise bei Harry dauern?«
»Acht Tage vielleicht.«
»Dann bleiben Sie acht Tage hier.«
»Und was soll ich in diesen acht Tagen machen?«
»Mit mir diskutieren.«
»Worüber?« Corell setzte sich auf und lehnte sich an die Wand. »Wissen Sie, daß es noch gar nicht so lange her ist, wo ich – genau wie jetzt – auf der Erde geschlafen habe, auf einer alten, muffigen Matratze, zugedeckt mit dem eigenen Mantel? Sie haben wenigstens richtige Wolldecken hier, ein ausgesprochener Luxus.«
»Doktor, hören Sie auf, vom Krieg zu reden, 'was anderes kann Ihre Generation nicht. Uns immer euren Scheißkrieg um die Ohren schlagen, immer erzählen, wie fleißig ihr gewesen seid, nachdem alles zusammengewichst war, wie ihr das verdammte Wirtschaftswunder gemacht habt, bis ihr in eurem eigenen Wohlstand ersoffen seid.« Dorothea winkte ab. »Uns imponiert das nicht. Es kotzt uns an, das immer zu hören.«
»Mein liebes Mädchen … ich habe vor etwa drei Monaten auf der Erde gelegen, nicht 1945. Vor drei Monaten, in einem alten Bunker, mitten unter Wermutsbrüdern, Stadtstreichern, Strichjungen, Pennern … Ich habe mit ihnen ihren Wermut geteilt und in die Zimmerecke gepinkelt –«
»Milieustudium, was?«
»Von wegen Milieustudium. Ich gehörte zu ihnen. Ich war ihr Genosse. Der ›Pillen-Alex‹ … weil ich immer meinen Rezeptblock bei mir hatte und ihnen verschrieb, was sie gerade brauchten.«
Dorothea sah ihn nachdenklich an. Ihre harten graublauen Augen bekamen einen Schimmer Wärme. »So einer sind Sie?« sagte sie gedehnt.
»Ich war es. Jetzt geht's wieder aufwärts.«
»Eine Frau, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sie muß schön sein und klug und tapfer …«
»Sie ist alles, Dorothea.« Corell suchte nach einer Zigarette. Dorothea griff in ihre Hosentasche und warf ihm eine zerknüllte Packung zu. »Danke.« Sie warf ihm auch noch ein rundes Gasfeuerzeug nach, und Corell steckte sich eine breitgedrückte Zigarette an. Sie war warm von Dorotheas Körperwärme. »Und jetzt liege ich wieder hier auf der Erde, und ihr wollt mich wieder in den Dreck ziehen.«
»Keiner will das! Für uns sind Sie ein Angehöriger der sich selbst auffressenden Generation. Ihr seid tot und merkt es gar nicht. Nein, Sie sollen nur hierbleiben, bis Harry übern Berg ist. Dann bringen wir Sie zurück in Ihr ach so geliebtes ordentliches Leben.« Sie beugte sich wieder vor, ihre Augen holten Corell zu sich heran. Ihr Mund bekam einen Zug ins Sinnliche. »Ist diese Frau besser als ich?«
»Was heißt hier besser? Anders.«
»Wie anders? Vornehm, was?«
»O Himmel, nein. Sie ist aus Jugoslawien. Ein Naturereignis. Ein Mädchen, in dem alles, was Leben heißt, vereint ist.«
»Sie lieben sie, ich sehe es. Ich mag sie nicht, obgleich ich sie nicht kenne. Sie steht zwischen uns. Ich wollte mit Ihnen schlafen …«
»Und Harry?«
»Wir kennen die idiotischen bürgerlichen Moralbegriffe nicht. Sie gefallen mir, irgendwie, auch wenn Sie ein satter Sack sind – und deshalb will ich mit Ihnen schlafen. Wenn Harry ein Mädchen gefällt, macht er's auch so. Warum soll ein Mensch sein ganzes Leben lang nur einem einzigen Menschen gehören? Das ist doch blöd. Der Mensch ist frei.« Dorothea legte ihre Hände auf Corells Knie. Ihre Finger gruben sich leicht in seine Haut. »Würden Sie mit mir schlafen?«
»Sicherlich … wenn Danica nicht wäre.«
»Vergessen wir sie, Doktor.« Sie setzte sich gerade und zog plötzlich den grauen verwaschenen Pullover über den Kopf. Darunter trug sie nichts … ihre vollen Brüste waren einheitlich braun wie ihr ganzer Körper. Sie mußte den Sommer über nackt in der Sonne gelegen haben. »Kann deine Danica so etwas zeigen?« fragte sie. Ihre Stimme war plötzlich dunkler, weicher, eingebettet in einen warmen Ton von Sehnsucht.
»Sie ist schön«, sagte Corell. »Und du auch. Warum versteckst du das unter diesen schrecklichen Klamotten?«
»Wir wollen nicht so sein wie ihr.«
»Ihr Idioten!« Corell schüttelte den Kopf.
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