Ein Sommer mit Danica
zog Corell die unteren Lider herunter, blickte kurz in die starren Augen mit den erweiterten Pupillen und nickte. »Ab in die Klinik! Das ist ja ein tolles Ding.«
»Verrückt?« fragte Kommissar Huncke betroffen. Eigentlich hatte man Corell überall gern gemocht, auch wenn man es nicht so öffentlich zeigen konnte. Als Arzt der Dirnen und Gauner hatte er der Polizei oft unbewußt wertvolle Dienste geleistet … ergriff man einen der Gesuchten, war er meistens in einem blendenden gesundheitlichen Zustand, voll verhandlungsfähig und konnte sich nicht mehr in die beliebte Masche von vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit flüchten. Corells Patienten waren die besten Stammkunden der Kriminalpolizei und Gerichte.
Dr. Berger schüttelte den Kopf. »Nein, nicht verrückt –«, sagte er. »Vollgepumpt mit Rauschgift. Nach seinen Halluzinationen nehme ich an, sie haben ihm eine gehörige Ladung LSD verpaßt. Wir werden Corell in der Klinik wieder ins reale Leben zurückholen. Er dürfte in ein paar Stunden völlig normal sein.« Dr. Berger sah sich im Kreise der Kriminalbeamten um. »Verstehen Sie das, meine Herren? War Corell ein Fixer-Typ?«
»Das wäre neu.« Huncke starrte den singenden, verzückt durch die Gegend stierenden Corell an. »Ich habe eine andere Erklärung. Der ›Lord‹ hatte recht – die Extremisten haben ihn geschnappt, er hat den oder die Verwundeten behandelt, mußte solange bei ihnen bleiben, bis die Verletzten außer Gefahr waren, und dann hat man ihn mit LSD umfunktioniert und im Palmengarten ausgesetzt. Eine verdammte Schweinerei.« Huncke strich dem selig lallenden Corell über das zerwühlte Haar. »Aber wenn er wieder auf der Erde ist, wird er uns sagen können, wie die Burschen aussehen … das ist ein goldenes Korn in einem Haufen Müll. Wir werden mit der Fahndung weiterkommen. Dabei bleibt es ein Rätsel, warum sie ihn nicht einfach liquidiert haben.«
Eine Viertelstunde später wurde Corell in einem geschlossenen Polizeiwagen in die psychiatrische Universitätsklinik gebracht. Huncke selbst fuhr zu Corells Wohnung, um Danica Robic davon zu unterrichten, daß ihr Bräutigam – Huncke nannte es so formvollendet – gefunden worden sei.
*
Die vergangenen Tage waren eine einzige Qual gewesen. Danica lebte dahin, als sei sie völlig seelenlos, nur ein Körper, der das Nötigste aß und trank, der aber sonst herumsaß, auf das Telefon starrte, kaum ein Wort sprach und jeden, der ein Wort an sie richtete, mit Augen anblickte, in denen kein Verständnis für die Umwelt mehr war.
Petar Robic raufte sich die Haare, versuchte, sein Töchterchen aufzuheitern, erzählte von Piran und den neuesten heimlichen Amouren des flotten Duschan Dravic, wollte sie mit dem Dorfklatsch aus ihrer Versunkenheit locken und scheiterte kläglich an ihrer inneren Versteinerung. Sogar mit den Ganoven freundete er sich an, soff mit Bizeps-Karle, den der ›Lord‹ als Leibwache in der Wohnung zurückgelassen hatte, weil er vermutete, die Extremisten könnten auch noch Danica als Geisel entführen, solange Slibowitz, bis Karle unter den Tisch rutschte, und bot der ganzen Runde um den ›Lord‹ zwei Wochen kostenlosen Aufenthalt in Piran an, wenn sie einen Tip herausbrächten, wo Sascha stecken könnte.
Aber der Vorhang blieb dicht. Die Frankfurter Unterwelt lief sich zum erstenmal wund. Die Abschirmung der radikalen politischen Gruppe war vollkommen. Ihre Freunde und Beziehungen saßen woanders, nicht im Schatten … sie lebten als Künstler, Journalisten, Professoren und Schriftsteller im hellen Licht der Öffentlichkeit, bekannte, biedere, honorige Männer und Frauen, hinter deren weißer Weste sich die rote Fahne des Aufruhrs versteckte. In diese Kreise kam der ›Lord‹ nicht hinein. »Man ist ein zu anständiger Gangster«, sagte er einmal bei einer nächtlichen Beratung am sechsten Tag von Corells Verschwinden. »Politiker müßte man sein!«
Mit der Polizei lebte Petar Robic in einem geradezu wilden Krieg, der an seine Partisanenzeit in den serbischen Bergen erinnerte. Er eröffnete die Feindseligkeiten damit, daß er bei Kommissar Huncke erschien, sich als Vater seines Töchterchens Danica vorstellte und dann wörtlich sagte: »Die deutsche Polizei ist ein blinder Hund, der nur noch an den Pißecken schnuppern kann.«
Huncke war ehrlich verblüfft. »Wir tun, was wir können –«, sagte er höflich.
»Aber was könnt ihr?« schrie Robic. »Von einer Handvoll Radikaler laßt ihr euch verprügeln
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