Ein Sommer mit Danica
Versteck dieser Bande und ist Leibarzt des Chaos!«
An diesem Sonntagmorgen wurde noch viel gesprochen … aber es blieb nicht viel übrig. Nur eins setzte sich fest und begann ab Montag still, aber unheimlich bohrend zu arbeiten und durchsetzte die Ärzteschaft, die Polizei, die Patienten wie ein fiebriges Virus:
Corell lebt bei den Terroristen. Corell ist zum politischen Banden-Arzt geworden. Er ist dort gelandet, wo er zwangsläufig hin mußte –
»Du bist ja eine berühmte Nummer geworden, Alex –«, sagte am Dienstag Dorothea zu ihm. Harry war jetzt fieberfrei, die Wunde hatte sich nicht entzündet und heilte gut zu. Eine Sepsis war nicht mehr zu erwarten. »Die Presse, das Fernsehen … für diese Publicity solltest du uns noch etwas bezahlen.«
»Sie werden mich zerreißen, wenn ich wieder draußen bin –«, sagte Corell ahnungsvoll. »Sie werden mir gar nichts glauben …«
»Wenn du wieder 'rauskommst!« Dorothea verzog den schönen Mund. Ihre harten Augen glitzerten. »Wenn, Alex!«
Er starrte sie an und wußte plötzlich, daß sie es ernst meinte. Harry war gerettet – wer hinderte sie daran, ihn zu liquidieren? Seit gestern schlief sie wieder mit Harry, neben ihm, unter seinen Augen, vielleicht um ihm zu zeigen, was er verachtet hatte und wie leidenschaftlich sie sein konnte.
»Darüber entscheidest du nicht allein«, sagte er heiser.
»Doch.« Sie nickte. »Ich ganz allein –«
*
Am Donnerstag, gegen 17 Uhr, beobachtete ein älteres Ehepaar, das im Palmengarten spazierenging, wie ein Mann auf einer Bank saß, hin und her schwankte und unartikulierte Laute ausstieß. Sie gingen näher an ihn heran, um den Betrunkenen anzusehen, und hörten, als sie nahe genug heran waren, wie der Mann deutlich sagte:
»Wie schön … wie schön … Gebt mir eine Wolke … diese lila Wolke … Über die roten Wiesen zu den gelben Bergen? Wie schön … wie schön …«
»Ein Verrückter –«, flüsterte die Frau und zog ihren Mann weiter. »Laß ihn in Ruhe. Ein Verrückter … Ob wir die Polizei holen? So einer darf doch nicht frei herumlaufen … und im Palmengarten sitzen … Wenn der nun jemanden anfällt? Wer weiß, wie der reagiert? Die sind ja unberechenbar …«
Sie gingen schnell weiter, sagten einem der Gärtner, die in den Beeten arbeiteten, Bescheid, und zeigten auf die ferne Bank mit dem merkwürdigen Mann. Er stand jetzt auf der Bank und bewegte die ausgestreckten Arme, als wolle er fliegen wie ein Vogel.
»Total bekloppt«, sagte der Mann. »Der ist bestimmt irgendwo weggelaufen.«
Zehn Minuten später war die Polizei da und nahm den Verrückten mit. Er wehrte sich nicht … er taumelte zwischen den Beamten und lallte mit glückseligem Gesicht: »Die Sonne ist aus Glas … die Sonne ist aus Glas … die Menschen wachsen wie Spargel aus dem Boden …«
Er stieg in den Streifenwagen und lachte … lachte … und sein bleiches Gesicht war zu einer schrecklichen Fratze verzerrt …
Dr. Corell war gefunden worden. Aber es war nicht mehr Dr. Alexander Corell …
32
Im Polizeipräsidium war man zunächst ratlos. Kommissar Huncke, ein alter Bekannter Corells, rief ihn ein paarmal an, schüttelte ihn, aber Corell stierte geradeaus, lachte blöd und begann, in einer völlig verrückten Melodie zu singen. Es klang wie elektronische Musik; Huncke hatte so etwas aus einer menschlichen Kehle noch nicht gehört. Daß der aufgegriffene Mann wirklich Dr. Corell war, ging auch aus den Ausweispapieren hervor, die in seiner Brieftasche lagen. Außerdem wurde Corells alter VW samt seiner Arzttasche vor dem Eingang des Palmengartens gefunden, vorschriftsmäßig geparkt. Den Zündschlüssel trug Corell in seiner linken Manteltasche.
»Betrunken ist er nicht«, sagte Kommissar Huncke und schnupperte an Corells Mund. »Keine Fahne. Und daß er plötzlich den Verstand verloren hat, kommt mir merkwürdig vor.« Er schüttelte Corell noch einmal, aber dieser sang weiter und wiegte den Oberkörper zu der fürchterlich atonalen Musik. »Natürlich ist nicht auszuschließen, daß bei ihm eine Ader im Gehirn geplatzt ist. Wie der in den vergangenen Jahren gesoffen hat! Jeder andere, der nicht so eine Bärennatur hat, wäre längst in einer geschlossenen Anstalt gelandet.«
Es gab keine andere Möglichkeit, mit Corell klarzukommen: Man rief den Polizeiarzt.
Dr. Berger betrachtete seinen Kollegen mit stummem Erstaunen, sprach ihn dann an und erhielt zur Antwort: »Die gläserne Sonne ist wie ein Mutterleib …«,
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