Ein Sommer mit Danica
und faßt sie an, als seien es zerbrechliche Eierchen! Ha! Wißt ihr, was man mit denen in Jugoslawien machen würde?«
Huncke vermied es, darauf eine Antwort zu geben. Robic hatte recht … der demokratische Begriff von Ruhe und Ordnung hatte etwas Schizophrenes an sich. Die Freiheit der Meinung … sie war eine der Grundsäulen der Demokratie, und sie mußte es bleiben, aber ging Freiheit so weit, daß man die Ausrufezeichen hinter Manifesten durch Bomben ersetzte?
»Dr. Corell wird gesucht. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Huncke hob die Schultern. »Sie hätten in Jugoslawien auch keine anderen Möglichkeiten.«
»Beleidigen Sie mein Vaterland nicht!« schrie Robic. »Unsere Ordnung ist mustergültig! Die Kriminalität ist minimal! Wir haben einen Staat geschaffen, der sich sehen lassen kann! Aber was ist das hier, he? Der hochgejubelte Goldene Westen? Man muß Angst haben, nachts allein durch die Straßen zu gehen! Selbst auf den Banken ist das Geld nicht mehr sicher! Wozu sind Sie die Polizei, ha? Um Autos aufzuschreiben, die falsch herumstehen? Um Radfahrer vom Sattel zu holen, die kein Rücklicht haben? Sie sollten nach Piran kommen, jawohl, nach Piran. Da ist Duschan Dravic der Polizeichef, ein angesehener Mann, den alle grüßen, den alle lieben, der überall nur Freunde hat. Ein wirkliches Brüderchen. Diebstahl, Raub, Überfall oder sogar Mord? In Piran? Eher fällt der Campanile der Pfarrkirche zusammen! Wenn 'was passiert, sind es Fremde. Ha, und so 'was nennt sich Polizei!«
Er machte eine weite Armbewegung, starrte den sprachlosen Kommissar Huncke wie ein wilder Stier an und schmiß die Tür ins Schloß, als er hinausstampfte, daß es wie ein Schuß durch den Flur dröhnte.
Ein paar Zimmertüren öffneten sich, und Beamte starrten auf den Flur. Robic nickte zu ihnen, brüllte noch einmal: »Ist das eine Polizei!« und verließ als vorläufiger Sieger das Präsidium.
Von da an rief er täglich viermal bei Huncke an. Um 9 und 11 Uhr vormittags, um 3 und 5 Uhr nachmittags. Er stellte sogar dafür den Wecker. Nach drei Tagen legte man im Zimmer Hunckes sofort wieder auf, wenn man Robics Stimme erkannte.
»Diese Feiglinge!« sagte Petar zu Danica. »Sie verkriechen sich vor mir! Sie nässen in die Hose bei meiner Stimme! Aber ich lasse Ihnen keine Ruhe … morgen rufe ich auch nachts an.«
Das gelang nur zweimal. Schon in der zweiten Nacht erschienen zwei uniformierte Polizisten in Dr. Corells Wohnung und drohten, das Telefon stillzulegen, wenn die Belästigungen nicht aufhörten. Sie nannten sogar einige Paragraphen, die dafür zuständig waren und gegen die Robic verstoßen hatte.
»Ich will nur mein Recht!« schrie Robic. »Ein Mensch ist verschwunden, mein Schwiegersohn Sascha, und was macht man in Deutschland? Die Polizei wartet auf ein Wunder! Geben Sie zu: Das ist ein Skandal! Bei uns würde man sagen: Da wedelt ein Hund ohne Schwanz!«
Für Kommissar Huncke war es deshalb ein persönliches Bedürfnis, zu Danica zu fahren und ihr die Nachricht vom Auffinden Saschas zu überbringen. Irgendwie imponierte ihm der alte Robic … er kämpfte wie ein zahnloser Löwe mit gewaltigem Gebrüll, aber er kämpfte bis zum Umfallen. Er ging keinen Schritt zurück. Er stand da, unverrückbar wie seine istrischen Berge, allen Stürmen trotzend wie die Felsen des Karst.
Robic öffnete, als Huncke klingelte. Er erkannte den Kommissar sofort wieder und wurde plötzlich kleinlaut und schien zusammenzuschrumpfen. Wenn der Kommissar selbst kam, mußte etwas Schreckliches geschehen sein. Was Robic nur im stillen dachte, war also Wahrheit geworden. Er legte den Finger auf den Mund, schloß leise die Tür und zog Huncke hinüber in die Küche.
»Danica ist im Wohnzimmer –«, flüsterte er. »Herr Kommissar – wir wollen es ganz vorsichtig machen, ganz zart … sie fällt mir sonst in Ohnmacht, sie tut sich etwas an, mein armes Töchterchen. Wo … wo haben Sie Sascha gefunden?«
»Im Palmengarten.«
»Wie … wie sieht er aus?«
»Gut …«
»Gut?« Robics Lippen zitterten. »Wie können Sie noch spotten, Kommissar? Meine arme Danicanka!« Er ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und wischte sich mit bebenden Händen über das Gesicht. Bis heute war er der Fels gewesen … jetzt war er nur noch verwitterte Trümmer. »Wie soll man es ihr sagen?«
»Sagen Sie es ganz klar …«, sagte Danica. Keiner hatte gehört, daß sie die Küchentür geöffnet hatte. Sie kam jetzt herein, Robic seufzte tief und
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