Ein Sommer mit Danica
drehte er sich noch einmal um. Das schmale Haus war dunkel, ein Schimmer der hellen Nacht saß in den Rissen der aufeinandergefügten Steine. Die Familie Robic schlief.
Mit diesem letzten Blick nahm Corell Abschied. Er war froh darüber, mit Danica nicht geschlafen zu haben. Es hätte alles unnötig erschwert, ja, er wäre vielleicht nie in der Lage gewesen, aus dieser Liebe auszubrechen. Er ahnte, daß alles anders geworden wäre, wenn diese ganz zur Hingabe bereite Jugend in ihn übergeflossen wäre, wenn er in Danicas zärtlicher Wärme aus der inneren Erstarrung hätte erwachen können. Die zwei Stunden, die ihnen bis zur Rückkehr Petar Robics von seinem Andenkenstand geblieben waren, arteten in einen einzigen Kampf aus. Sie waren ins Haus zurückgekehrt, und Danica hatte, als die Haustür hinter ihnen zufiel, ihn umklammert und ihr Gesicht an seine Brust gedrückt. Er roch in ihrem Haar den wilden Lavendel, der aus den Steinen der Ruinen wuchs, und er suchte nach Worten, um ihr zu erklären, wie sinnlos das alles sei, was sie jetzt dachten und tun wollten.
Worte! Tönende Worte! Plakate, die man über die Seele klebt! Wer wollte sie jetzt hören?! Ein anderer Ton war in ihnen, und sie begriffen ihn, wenn sie sich ansahen und sich mit den Augen schon gehörten.
»Nein!« hatte er gesagt. »Danica, verdammt, nein! Es gibt kein Zurück. Sieh mich doch an, und sieh dich an …« Er hatte sie vor einen Spiegel gedrängt, der in ihrem Zimmer über dem emaillierten Waschbecken hing, und sie hatten sich, Kopf neben Kopf, in diesem Spiegel angestarrt. »Sieh dir doch diesen Wahnsinn an!« sagte er heiser.
Und ihre Antwort?
»Ich liebe dich, Sascha.«
Weiter nichts. Er war der Verzweiflung nahe, denn eigentlich hatte er auch nichts anderes zu sagen. Ihr Gesicht war im Spiegel klein und erschütternd kindlich, von einer Unschuld, die ihm die Kehle verkrampfte. Aber die Augen waren erwachsener als ihr Gesicht, und der schmallippige Mund konnte plötzlich aufblühen und sich öffnen und dieses unerklärbare Geheimnis preisgeben, das in jeder Frau schläft.
»Was soll denn daraus werden –«, sagte er. Es sollte wie eine harte Abwehr klingen.
»Du sollst weiterleben …«, antwortete sie. »Weiter nichts.«
Es wurde nichts aus diesen beiden Stunden. Sie verrannen, der alte Robic kehrte zurück, das Geld in einem Lederbeutel. Stana kam aus der Wäscherei, wie immer nach heißer Lauge riechend, müde, selbst ausgelaugt, mit roten, verarbeiteten Händen. Sie hatten gegessen, Petar hatte Rotwein geholt, einen säuerlich-herben Kabernet, faltete dann die Zeitung auseinander und begann zu lesen … es war, als gehöre Corell zur Familie und es sei selbstverständlich, daß er bei den Robics am Tisch saß und mit ihnen Kasapski cevap aß.
»Dr. Vicivic ist sehr zufrieden«, sagte Petar hinter seiner Zeitung. »Er war bei mir am Stand. Vor vier Tagen hätte er geschworen, daß Sie mindestens drei Wochen brauchen, um überhaupt schnaufen zu können.«
»Ich vertrage viel.« Corell hatte sein Glas Kabernet ausgetrunken, hatte Petar auf die Schulter geklopft und Stana, die das Geschirr abräumte, zugenickt. Dann war er nach oben gegangen, ohne Danica anzusehen.
»Ich bin fünfundfünfzig, er ist fünfzig –«, sagte Robic, als Corells Tür oben zuklappte. Er nahm dabei die Zeitung nicht fort. Es klang, als lese er daraus vor.
»Ich weiß es, Vater.«
»Man kann so etwas vergessen, Töchterchen.«
»Wird der Mensch eigentlich, wenn er älter wird, wertloser?« fragte sie.
Robic brummte etwas in seine Zeitung hinein, streckte die Beine von sich und blähte die Nasenflügel. »Man kann alles zweimal oder dreimal kriegen –«, sagte er nach einer langen Pause. »Nur die Jugend nicht! Das ist alles schnell vorbei.«
»Es ist gut, daß du mich daran erinnerst …«
Robic blickte seiner Tochter nach, wie sie in die Küche ging.
Morgen rede ich mit diesem deutschen Doktor, dachte er. Man muß über solche Dinge sprechen. Man hört nicht auf, Vater zu sein, wenn die Tochter dreiundzwanzig ist.
Das alles lag nun Stunden zurück. Corell wanderte über den Tartiniplatz, ging am Hafen vorbei und um die Landzunge herum, hinter der die Bucht von Piran begann. Ein paar Wagen überholten ihn auf der Fahrt nach Portoroz, und er wich zwei Betrunkenen aus, die Arm in Arm über die Straße wankten und Rheinlieder sangen. Dann war er allein mit der Nacht und dem Meer und ging von der Straße weg zum Ufer. Die Einsamkeit war
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