Ein Sommer mit Danica
Steinbarrieren, die die Gewalt des Meeres brechen sollten. Die ausländischen Touristen saßen draußen unter Markisen an kleinen runden Tischen und genossen die Romantik einer sich in Stein verewigten venezianischen Schönheit. »Und wenn man es genau betrachtet, Stana –«, sagte Robic und trank auch das dritte Glas leer; Kummer macht eine rauhe Kehle – »heiratet Danica einen Arzt. Könnte sie hier einen Arzt heiraten, he? Wer kommt schon daher und holt sich ein armes Mädchen hinter einem Souveniertisch hervor? So gesehen, könnte man Gott danken. Und so schlimm kann es gar nicht werden, daß sie schlechter lebt als bei uns.«
»Endlich wirst du vernünftig«, sagte Stana. »Wir hätten es auch nicht ändern können –«
»Aber wenn er sie betrügt? Wenn er nur von der Heirat redet, nimmt sie mit, und in Deutschland jagt er sie davon?«
»Sie werden hier heiraten.« Stana klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch. »Hier in Piran. In der Petruskirche. Alle sollen es sehen. Es wird eine Hochzeit sein wie früher bei den Fürsten. Hier in Piran …«
Sie klopfte wieder auf den Tisch, der Kellner nickte und rannte herbei.
»Scher dich weg, Damjan!« knurrte Robic. »Das Klopfen gilt mir, nicht dir! Noch eine Platte Cevapcici –«
Sie saßen, bis der Wirt kam und sagte: »Petar, ihr seid die letzten. Ich gähne euch solange ins Gesicht, bis ihr auch schlaft …«
Robic bezahlte, und da man ihm die Preise wie allen anderen berechnete, schimpfte er über die Halsabschneider, faßte seine Stana unter und wanderte mit ihr langsam nach Hause.
Über dem Wasser lag der Mond, das Meer atmete seinen Dunst aus. Es roch nach Tang, Fäulnis, jahrtausendealter Verwesung, eingesalzen und konserviert. Und doch so frisch, belebend und reinigend. Robic blieb stehen, starrte in die Wellen, die träge gegen die dicken Quader des Ufers klatschten und schüttelte den Kopf.
»Was ist?« fragte Stana.
»Ob wir alles richtig machen, Stana?«
»Für die Jugend machen wir alles falsch, ganz gleich, was wir machen.« Sie lehnte sich gegen ihn. Die Jahre verschwammen im Mondlicht … es war wie vor dreißig Jahren, als Petar heimlich um das Haus der Bobics schlich und Stana aus dem Zimmer pfiff, mit dem gleichen Pfiff, den er noch heute ausstieß. Dreißig Jahre. Was sind dreißig Jahre? Dreißigmal tief geatmet, mehr nicht, wenn man sie zurückblickt. Das Leben ist ein Wettlauf zum Grab.
»Ich sehe mir das alles an«, sagte Stana. »Dieses Frankfurt. Wie er lebt, wo er wohnt, was er verdient. Verlaß dich drauf, Petar … ich habe gute Augen.«
Sie legte den Arm um seine Hüfte, und von weitem sahen sie aus wie ein Liebespaar.
»Dann sind wir ganz allein, Stana –«, sagte Robic leise. Seine Stimme schwankte gefährlich.
»Eine Tochter ist nicht ein Besitz wie ein Tisch oder ein Stuhl …«
»Ganz allein, Stana. Dann werden wir alt sein … dann erst …«
»Hast du Angst davor?«
»Ja.«
»Sie werden uns ihre Kinder bringen. Ja, das werden sie bestimmt. Und wir werden mit ihnen am Meer entlanggehen, und du wirst ihnen zeigen, wie man Fische mit einer einfachen Schnur fängt. Wir werden gar keine Zeit haben, alt zu werden, du Idiot von einem Vater –«
Er wußte, wie es gemeint war, lächelte und strich Stana über das eisgraue, kurze Haar. Seine Hand zitterte dabei. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so zärtlich gewesen zu sein. Nicht in den Jahren, die er zurückdenken konnte –
8
Drei Tage später fuhr Corell nach Ljubljana. Man wollte dort noch einmal wissen, wie das mit der Bora und dem Wegschleudern von der Straße gewesen war. Es waren noch Protokolle anzufertigen, und es zeigte sich, daß Beamte überall auf der Welt heimliche Brüder sind, denn ihr Hang zum Papier muß in der Erbmasse liegen.
Die Untersuchungsbehörden in Ljubljana machten da keine Ausnahme. Außerdem hatte sich sehr zum Erstaunen Corells der deutsche Konsul gemeldet und wollte erfahren, wie es ihm gehe, was mit dem Autowrack im Karst geschehen solle und ob man eine Schadensregulierung beantragen wolle.
Erst mit dem Bus, dann mit dem Zug fuhren Corell und Danica nach Ljubljana und erledigten die Behördengänge. Es war eine große Anstrengung für ihn, er spürte seine Wunden wieder, aber er verschwieg ihr die Schmerzen, biß die Zähne aufeinander und bemühte sich, gerade zu gehen, zu lächeln und seine Schulter nicht hängen zu lassen. In ihm bohrte der Schmerz wie mit tausend dicken Nadeln, und wenn er als Arzt eine Eigendiagnose
Weitere Kostenlose Bücher