Ein Sommer mit Danica
Corell wie eine Entweihung vor, auf diesen Brettern sein Leben zu beenden.
»Sascha!« schrie Danica vor der Tür. »Laß mich hinein! Sascha!« Und dann lief sie zur Treppe und schrie hinunter. »Helft mir doch! Brecht die Tür auf! Er darf nicht allein sein! Er darf es nicht! Ihr wißt ja nicht, wie es ist, wenn er allein ist … Brecht die Tür auf –!«
Corell hörte, wie die anderen die Treppe hinauf stürmten. Robic brüllte nach einem Beil, das im Hinterhof liegen sollte, Dr. Vicivic warf sich mit der Schulter gegen die Tür, aber sie war aus dickem Holz und bewegte sich nicht. Dobroz schien Danica festzuhalten, denn deutlich hörte man klatschende Schläge, als wenn jemand dauernd Ohrfeigen bekommt. Dazwischen Stanas Stimme, die Petar einen Narren nannte und das Beil nicht holen wollte.
Corell erhob sich, ging zur Tür und öffnete sie. Vicivic, der erneut angelaufen war, schoß schräg ins Zimmer und fiel gegen das Bett. Wie eine Katze hing Danica an Corells Hals und küßte.
»Geh nicht ohne mich!« rief sie dabei. »Geh nicht ohne mich! Sie alle verstehen dich nicht. Keiner versteht dich …«
»Ich werde warten –«, sagte Corell mit der Dumpfheit eines Kalbes, das in einem Schlachthaus in seiner engen Boxe steht.
»Worauf?« fragte Vicivic. Er hockte auf dem Bett und rieb sich die anschwellende Schulter. »Worauf?«
»Ich weiß es nicht. Gibt es noch Wunder?«
»Bei Ihnen nicht mehr.«
»Aber ich warte darauf.«
»Sagen Sie Bescheid, wann wir die Glocken läuten sollen.« Dr. Vicivic erhob sich, breitete die Arme aus und schob alle aus dem Zimmer. Nur Dobroz weigerte sich und klammerte sich am Türrahmen fest.
»Danica …«, sagte er. »Wenn du willst, heiraten wir in vier Wochen. Danica –«
Die Tür fiel zu. Im Treppenhaus begann Dobroz zu toben, aber Petar und Vicivic stießen ihn die Treppe hinunter. Dann erstarb das Stimmengewirr hinter der Tür des Wohnraumes.
»Du bekommst mich nicht mehr los –«, sagte Danica. Sie stand am Fenster, blickte auf den kleinen Innenhof mit dem uralten römischen Brunnen und zerriß den unteren Rand ihrer Bluse zu winzigen kleinen Fetzen. »Du warst in mir, Sascha … und das lebt und lebt und lebt –«
»Wir werden zusammen nach Frankfurt zurückkehren«, sagte Corell, nur um etwas zu sagen. Für Danica war es sonnigste Wahrheit.
»Wann, Sascha?«
»In einer Woche vielleicht –«
»Warum so spät?«
»Ich muß erst Pula sehen –«
»Muß das sein?«
»Ja.« Er begann, im Zimmer hin und her zu gehen. Zeit gewinnen, das war jetzt wichtiger als alles andere. Jene paar Augenblicke stehlen, die zum Sterben genügten. Irgendwann war das möglich, und wenn man dafür seine ganze letzte Phantasie verbrauchte.
Am Abend war Serge Dobroz zurück nach Isola gefahren. Dr. Vicivic wurde zu einem Kranken gerufen und Stana hockte die letzten Stunden des Tages im Laden und verkaufte ihre Souvenirs. Allein wanderte Petar Robic im Haus herum, ging ein paarmal hinaus auf den Innenhof, blickte zu dem Fenster hinauf, hinter dem jetzt Licht brannte, pfiff ein paarmal laut und scharf, aber Danica reagierte nicht wie sonst auf diesen Ruf, sondern blieb unsichtbar im Zimmer. Als es vollends dunkel war, hielt er es nicht mehr aus und stieg die Treppe hinauf. Die Zimmertür war nur angelehnt, er drückte sie auf und starrte in den Raum. Corell und Danica lagen zusammen auf dem Bett und schliefen. Sie waren angezogen, aber wie Danica in Corells Armen lag, war eine Haltung so vollendeter und reiner Zärtlichkeit, daß Robic stehenblieb, die Hände faltete und den Atem anhielt.
Er betrachtete die beiden eine Weile und rang mit Empörung und väterlichem Stolz. Schließlich siegte der Vater, er zog die Tür leise hinter sich zu und tappte die Treppe wieder hinunter.
Später holte Robic zum Erstaunen aller, die ihn kannten, Stana vom Laden ab. Sie gingen in eine Wirtschaft, setzten sich in eine Ecke, Robic bestellte einen Malvazija und eine Platte mit Cevapcici, und sie begannen, wie Leute, die vor Zufriedenheit strotzen, zu essen und zu trinken.
»Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Danica erwachsen ist«, sagte Robic, als er zum drittenmal sein Glas dem Kellner gegeben hatte. Er blickte durch die große Scheibe, hinter der sie saßen. Es war ein gutes Lokal, lag direkt am Meer, nur durch die Uferpromenade von ihm getrennt, man übersah von hier den schönen kleinen Hafen mit der langen, wehrhaften Mole, dem nachgebildeten Seeräuberschiff und den mächtigen
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