Ein Sommer mit Danica
Morgens ein Eisenrohr und eine Brausebatterie mit Brausekopf herangeschleppt, alles sachgemäß an den Wasserkran im Hinterhof montiert und als erster demonstriert, wie man fröhlich zwischen dreißig dünnen Wasserstrahlen hin- und herspringen kann. Auch Danica stellte sich dann in einem neuen, ganz knappen Bikini unter die Dusche, und nur, weil Stana glücklich sagte: »Haben wir nicht ein wunderschönes Töchterchen?« hatte Robic darauf verzichtet, laut zu brüllen: »Ins Haus! Warum fallt ihr nicht gleich nackt übereinander her?!«
Und jetzt stand Danica da, die Hände in die Hüften gestemmt, und diskutierte über einen Kollektivwagen. Das Leben wurde immer komplizierter. Es wurde höchste Zeit, daß die Behörden in Ljubljana diesen deutschen Arzt über die Grenzen abschoben. Er unterwanderte die alte Ordnung, er war ein Schimmelpilz unter der Haut der Robics.
»Ich muß Waren holen«, knurrte der alte Robic.
»Das Lager platzt, so voll ist es.«
»Es fehlen Gondeln und große Holzlöffel.«
»Sie werden einen Tag warten können.«
»Nicht eine Stunde! Aha! Jetzt habe ich dich!« Robic sprang auf. »Die Wichtigkeit im Kollektiv! Wir dienen dem Fremdenverkehr, wir sind Maurer eines neuen Staates, wir haben unserem Land ein Gesicht zu geben, und dazu gehört auch der Tourismus, und zu dem gehören Gondeln und Holzlöffel. Kein Wort mehr!«
Danica sah ihren Vater lange an. Er wich diesem Blick aus, zupfte an seinem Schnauzbart, putzte sich die Nase und scharrte mit den Stiefeln über die Dielen. »Was ist mehr wert, Vater«, sagte sie endlich leise. »Ein Holzlöffel oder das Glück eines Menschen?«
»Man sollte nicht so dämliche Fragen stellen –«, knurrte Robic, griff in die Tasche, warf die Autoschlüssel auf den Tisch und verließ mit eingezogenem Kopf das Zimmer. Minuten später hupte Danica vor dem Haus, bis Corell aus der Tür kam. Ein paar Nachbarn hingen in den Fenstern und grinsten. Sie riefen etwas hinunter, was Corell nicht verstand, aber er drehte sich um und winkte zu ihnen hinauf. »Was haben sie gesagt?« fragte er, als er neben Danica saß und der uralte Fiat knatternd die Straße mit dem Meerkieselpflaster hinunterhüpfte.
»Es sei heute zu heiß für die Liebe …« Sie lachte dabei unbefangen, es war ein herrlicher Anblick, sie so fröhlich zu sehen. Corell legte den Arm um ihren Nacken und atmete den Geruch ihres langen Haares ein. Es war ein mit nichts zu vergleichender Duft: Der Geruch der Jugend. Während sie fuhr, sah er Danica lange und stumm an. Ich muß dieses Bild in mir behalten, dachte er. Es wird das einzige sein, was mir von ihr bleibt. Die Erinnerung an einen Engel, der mir über den Weg flog, ein Sonnenstrahl, der auf einen Sumpf fällt und selbst die ödeste Öde vergoldet und mit Leben füllt.
»Woran denkst du?« fragte sie.
»Daß ich dir versprechen kann, weiterzuleben.«
»Das ist das Schönste, was man sagen kann, Sascha.«
Corell nickte. Was er dachte, sprach er nicht aus. Es gab ein Weiterleben, dazu hatte ihm Danica den neuen Anstoß gegeben, aber es würde ein Leben ohne Danica sein. Die vergangenen Wochen, vor allem das Zusammentreffen mit den Frankfurter Ganoven in Lipica, hatten ihn erkennen lassen, daß eine Rückkehr zu den Menschen gleichzeitig ein erbitterter Kampf gegen die immer gegenwärtige Vergangenheit werden würde. Er war bereit, ihn aufzunehmen und mit Danicas Bild auf seiner vernarbenden Seele einen neuen Dr. Corell aufzubauen, Stein um Stein, in mühsamer knochenbrechender Kleinarbeit. Aber dazu mußte er allein sein. Er war sich sicher, daß Danica trotz ihrer Liebe den Belastungen nicht standhalten würde. Was wußte sie schon von seinem Leben? Er stand nicht nur mit den Füßen in der Jauche, nein, er schwamm in ihr.
»Halt an!« sagte er plötzlich.
Sie schüttelte den Kopf und trat das Gaspedal weiter durch. Der alte Motor heulte auf, machte einen Höllenspektakel, als wolle er gleich auseinanderfliegen, aber er schien von Robic diese Fahrweise gewöhnt zu sein und ertrug das Vollgas mit hellem Gekreische. Corell klammerte sich an der Kante des Armaturenbretts fest. Der kleine Wagen wurde zur Rakete und überholte schwere, deutsche Limousinen, deren Fahrer erschrocken den Kopf zur Seite rissen und entgeistert dem verrosteten Blechgespenst nachstarrten. Die Straße senkte sich etwas, die Felswände rückten näher zusammen, es war, als führen sie in eine enge Röhre hinein.
»Du sollst anhalten!« rief Corell.
»Nein!«
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