Ein Sommer mit Danica
und spürte unter seinen Fingern die Rundungen ihrer Brust. »Ich bin stark genug, so zu leben und glücklich zu sein.«
»Manchmal möchte ich weinen –«, sagte er leise.
»Dann tu es, Sascha.«
»Es geht nicht. Ich habe auch meine Tränen im Schnaps verbrannt.«
»Vermißt du es? Soll ich dir etwas zu trinken holen? Eine Flasche Kognak? Slibowitz? Kirschwasser? Du brauchst es nur zu sagen, – ich tue alles, was du willst. Du sollst nie mehr unglücklich sein.«
»O Gott, warum legst du deine Engel nicht in Ketten?« Corell sprang auf, trat nach vorn an den Rand des Fensters und starrte in die Tiefe.
Unter ihm lagen die Dächer von Piran, ineinander verschachtelt, von schmalen Gassen durchschnitten, mit kleinen Höfen durchlöchert. Pinien kletterten den Hang hinauf, die Kirche am Ende der Landspitze ins Meer schwamm im Sommerdunst wie vom Boden losgelöst, die Boote in dem schmalen Hafen und die Schiffe entlang der Mole leuchteten bunt auf dem Blau des Wassers. Auf dem anderen Hügel, Corell gegenüber, stand lang und wuchtig die Pfarrkirche mit dem venezianischen Campanile, eine Erinnerung an San Marco, für Ewigkeiten gebaut.
»Wenn du hinunterspringen willst, tu es –«, sagte Danica hinter ihm. »Ich springe hinterher.«
»Du hast keinen Grund dazu.«
»Du bist der Grund.« Sie umfaßte ihn von hinten und schmiegte sich an ihn. »Du mußt dich daran gewöhnen, daß du dir nicht mehr gehörst. Du gehörst jetzt mir. Ist das so schwer zu begreifen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich brauche mich nur im Spiegel anzusehen.«
»Dann werde ich alle Spiegel in deiner Umgebung zerschlagen!«
»Ein Leben wie in der geschlossenen Abteilung eines Irrenhauses. Keine Spiegel, keine Klinken an den Türen, Gitter vor den Fenstern, eine sterile Welt für einen leeren Topf …«
»Ich werde diesen Topf aufs Feuer setzen und in ihm die schönsten Gerichte kochen.«
»Es ist ein alter, durchgerosteter, verbeulter, henkelloser Topf, voll mit angebrannten Essenresten … So etwas wirft man auf den Müll, Danica.« Corell drehte sich um, drückte sich mit dem Rücken gegen das bröckelnde Gemäuer und spürte hinter sich die Tiefe mit einer so magnetischen Anziehung, daß er die Zähne zusammenbiß. »Zum letztenmal: Es ist alles sinnlos mit mir. Es ist vorbei. Aus! Ein Wind, der um die Ecke geweht ist und sich nun in der Weite verliert. Begreif es doch, Danica. Ich flehe dich an …«
»Wann fahren wir nach Pula, Sascha?«
Er schwieg, trat vom Abgrund zurück und setzte sich in dem kleinen Zimmer auf einen Steinklotz, der irgendwo aus der dicken Mauer herausgebrochen war. »Warum hast du das gesagt?« fragte er und legte die Hände über seine Augen, als blende ihn die Sonne, die in den Rissen des Gemäuers glänzte.
»Du mußt nach Pula, um ganz gesund zu werden. Ist es nicht so?«
»Ich wollte Pula sehen, um dort zu sterben.«
»Das ist das gleiche. Nach Pula wirst du anders sein. Ein toter Mensch oder ein neuer Mensch.«
»Es ist, wie wenn man einen Stein ins Meer wirft und hofft, daß er schwimmt.«
»Du wirst schwimmen, Sascha.«
»Weißt du das so genau?«
»Ganz genau.«
»Dann fahren wir nach Pula.«
»Wann, Sascha?«
»Morgen.« Corell beugte sich vor und starrte wieder hinunter auf die kleine Stadt. Von der Mole legte ein weißes Schiff ab, der Liniendienst nach Triest. Der Geruch von wildem Wein wehte schwer und süß durch die Ruinen. »Hilde war eine schöne Frau –«, sagte Corell.
»Ich weiß es. Du trägst ihr Bild in der Brieftasche. Aber Hilde ist tot, und ich lebe. In Pula werde ich das Bild zerreißen.«
Er griff in den Rock, holte die Brieftasche heraus, klappte sie auf, schob Hildes Bild aus der Cellophanhülle und hielt es Danica hin.
»Zerreiß es jetzt«, sagte er.
»Nein. Jetzt wäre es Mord.«
»Und in Pula?«
»Ein Wegjagen von Schatten.«
Er zog die Hand zurück, sah das Foto an und dachte an die letzten Worte, die Hilde zu ihm gesagt hatte. »Komm mit –«, hatte sie gesagt. »Diese herrliche Sonne draußen. Und du willst schlafen. Laß mich nicht allein gehen. In einer Stunde sind wir wieder zurück …« Und sie war in einer Stunde zurück … zerschellt an der Betonmauer der Seilbahn, ein blutiger Klumpen, nichts weiter mehr, nur erkenntlich an den beiden Ringen an ihrer schrecklich heilen rechten Hand, dem einzig Menschlichen, was noch an ihr war. »Ich bin stärker als sie –«, hörte er Danica sagen. »Viel stärker … denn ich lebe.«
Er steckte das Bild
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