Ein Sommer mit Danica
klatschten begeistert in die Hände, wenn aus den unterirdischen Käfigen die Löwen hervorbrachen und sich auf die Christen stürzten, oder wenn von Kaiser und Gouverneur bestimmte Kämpfer mit Netz, Dreizack oder nur einer Keule sich den Bestien entgegenwerfen mußten. Der Tod wurde zu einem umjubelten Schauspiel, die Schmerzensschreie zu Musik.«
Corell legte den Arm um Danica und schob seine Hand in ihr langes Haar.
»Wir haben damals im Krieg als junge Soldaten diese Arena bewundert. Es war die Zeit, in der auch wir Sterben als Heldentum ansahen, und wo ein Einzelner befahl, ob jemand leben durfte oder nicht. Wie oft habe ich dort unten auf den steinernen Bänken gesessen und dieses Theater erforscht. Eine Riesenarena mit Sonnenschutz für die Zuschauer, mit einem raffiniert konstruierten Abfluß für das Regenwasser, mit besonderen Gängen, Kammern und Türen zum Abtransport der Leichen, mit Gladiatorensälen und Gefangenenkäfigen, Löwenzwingern und Verwalterwohnungen, einer klimatisierten Kaisertribüne und einer Wasserleitung. Und das alles vor 2.000 Jahren, als bei uns in Mitteleuropa die Jäger durch riesige Urwälder streiften und die germanischen Völker in Holzhütten wohnten. – Hast du noch eine Zigarette?«
»Ja.«
Sie rauchte sie wieder an und steckte sie ihm zwischen die schmal gewordenen Lippen. Er sog ein paarmal den Rauch ein und blickte wieder über die in der Mittagssonne flimmernde, sich in den Konturen verzerrende Stadt. Das Meer schien zu verdampfen. Die feuchte Hitze zog bis zu ihnen herauf. Das Hemd klebte ihm am Körper, über das Gesicht lief der Schweiß, als sei jede Pore eine kleine Quelle. »Damals, als junger Unterarzt, habe ich das alles nicht empfunden. Da war nur Bewunderung. Wie man sich ändern kann.«
»Aber es bleibt trotzdem ein schönes Bauwerk, Sascha.«
»Es ist im Verfall noch ein Bild des Stolzes. Aber wie lange noch? Keine weiteren 2.000 Jahre mehr.« Er warf die Zigarette weg und zertrat sie. »In dieser Arena, dort unten, in der vierten Reihe vor der Bühne, die sie auf den ehemaligen Kampfplatz gebaut haben, saß ich mit Hilde. Dort habe ich sie geküßt und gefragt, ob sie meine Frau werden will.«
»Ich weiß es, Sascha.« Danica legte den Arm um seine Hüfte. »An genau der gleichen Stelle wirst du mich küssen und fragen …«
»Damals war ich jung und hatte das Leben vor mir … heute bin ich wie diese Ruine.«
»Weil keiner sich um dich gekümmert hat.« Sie löste sich aus seinem Griff und ging zum Wagen zurück. »Komm, wir fahren weiter. Du mußt mir die Stelle zeigen, wo du damals gesessen hast. Du mußt überall mit mir hingehen, wo du damals gewesen bist.«
Er nickte und riß sich von dem Anblick Pulas los. Wie tapfer und verzweifelt sie kämpft, dachte er, als er Danica nachging. Die schweren Wagen, die sie vor einiger Zeit überholt hatten, rauschten an ihnen vorbei. Ein paar Fahrer tippten an die Stirn, als sie Danica und Corell wiedererkannten. Corell nickte und winkte ihnen zu. Ihr habt recht, ihr normalen Menschen. Hier stehen zwei Verrückte. Aber kümmert euch nicht um sie … sie stehen außerhalb eurer heilen Welt. Ein Mädchen, das in ihrer Liebe zu einer Heiligen wird, und ein versoffener Arzt, der nicht mehr garantieren kann, ob seine vom Alkohol zittrige Hand jemals wieder einen geraden Schnitt durch Haut und Muskeln schafft oder auch nur das Stethoskop ruhig an einen Thorax halten wird. Der das hohle Atemgeräusch in einer Tbc-Lunge und nicht bloß das Rauschen des Suffs in seinen Ohren hört. Der wieder mehr kann, als bei Schlägereien verletzte Zuhälter verbinden, heimlich Tripper bei Huren behandeln oder Rezepte für Süchtige ausschreiben. Der wieder ein Arzt ist und nicht ein Schlauch, der jeden Tag austrocknet und wieder gefüllt werden muß, ein Schlauch mit einem Loch oben, zum Hineinschütten, und zwei Löchern unten, zum Ausscheiden. Verdammt, glotzt und grinst nicht so, ihr normalen Affen! Fahrt hinunter zur Arena von Pula. Vor zwei Wochen hättet ihr kommen müssen. Das wäre ein Schauspiel gewesen, so ganz im Sinne eines Ferienerlebnisses. Kameras heraus! ›Alwine! Det is'n Foto! Ick erlebe aber och immer wat, wo ick hinkomme!‹ Ein Mensch in der Kaiserloge. Tot. Offensichtlich Selbstmord. Ein Gifttod. Muß ein freundliches Gift sein, der Tote lächelt ja. Was? Ein deutscher Arzt? Junge, das ist'n Knüller. Noch nichts der Polizei melden, Leute! Noch'n paar Minuten … erst die Fotos, von allen Seiten. Kinder,
Weitere Kostenlose Bücher