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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesagt. »In ihnen ist Mozart und Schubert, Chopin und Schumann. Retten Sie mich –«
    1943. Ende Oktober. In einer Höhle im Karstgebirge bei Rasa.
    »Ich muß sie sehen –«, sagte Corell laut. »Danica, ich muß sie sehen! Es muß diese Clara Soffkov sein … es gibt keine andere.«
    »Welche Clara Soffkov?« Sie blieb stehen und hielt ihn mit beiden Händen fest, als er zum Eingang der Arena laufen wollte. »Muß ich einen zweiten Schatten umbringen, Sascha?«
    »Nein, um Gottes willen, nein … Das ist eine andere Geschichte. Ich hatte sie völlig vergessen. Damals, 1943, habe ich etwas Ungeheures getan … heute würde man sich das nur anhören und dann fragen: Na und? Ich habe eine Zeitlang geglaubt, daß die Menschenverachtung damals der Gipfelpunkt der Entmenschlichung war. Ein Irrtum, Danica. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem einzelnen Menschen, die wir heute erleben, ist schrecklicher. Ich muß Clara Soffkov sehen …«
    »Du kannst sie sehen«, sagte Danica, »aber es hat wenig Sinn. Man soll sie nur hören.«
    »Warum?«
    »Sie ist blind –«, sagte Danica.
    »Blind? Seit wann?«
    »Sie kam blind aus Amerika zurück.« Danica sah Corell verstohlen von der Seite an. »Man erzählt sich, ein deutscher Soldat habe auf sie geschossen, und die Kugel traf ihren Kopf und zerriß den Sehnerv.«
    »Das ist doch nicht möglich –«, sagte Corell tonlos. Er lehnte sich gegen die Reklametafel. Sein breiter Rücken verdeckte das Plakat von Clara Soffkovs Klavierkonzert. »Das ist doch gar nicht möglich …«
    »Deshalb hat sie auch nie in Deutschland gespielt und wird nie dort spielen …« Danica umfaßte mit beiden Händen Corells Gesicht. »Sascha, ich weiß nicht, was damals passiert ist … aber willst du sie noch immer sehen?«
    »Ja … jetzt gerade.« Corell stieß sich von der Plakatwand ab. Sie war nur lose in den Boden gerammt, begann zu schwanken und fiel dann laut krachend um. Corell zuckte herum. Er starrte auf die Holztafel und sein Mund verzog sich. »Alles, was ich anfasse, zerstöre ich. Wann hast du endlich genug von mir, Danica?«
    »Mich wirst du nie zerstören, Sascha. Ich bin wie die Felsen unserer Berge.«
    »Und auch die sprengt man auseinander.«
    »Aber man macht Steine aus ihnen, baut mit diesen Steinen Häuser, Brücken und Mauern … und die Steine leben weiter, Jahrhundert nach Jahrhundert. Was ist da ein Menschenleben?«
    Corell bückte sich, stellte die Reklametafel wieder auf, rammte die hölzernen Beine, so fest er es konnte, in den Boden und wischte mit der Hand den Staub von dem Namen Clara Soffkov.
    »Blind –«, sagte er leise. »Aber sie lebt und kann spielen. Wenigstens das ist ihr geblieben …«

14
    Clara Soffkov saß unter einem weiten Sonnendach aus blauem Segeltuch auf der Bühne des Amphitheaters und übte. Ein paar Männer standen um den Flügel herum … mit Seilen war ein Bezirk rund um die Bühne abgesperrt und von den Touristen getrennt, die mit ihren Führern die gewaltigen Ruinen der Arena besichtigten. Das Klavierspiel tönte dünn durch die heiße Mittagsluft, ging unter in dem vielfältigen Stimmengewirr, irgendwo ratterte eine Betonmischmaschine und quietschte ein Bauaufzug … man besserte die Trümmer aus, konservierte das Altertum, gab dem Überbleibsel römischer Herrlichkeit unsichtbare Betonspritzen. Um Clara Soffkov kümmerte sich niemand … sie saß hinter dem Konzertflügel, klein, schmal, weißhaarig, in einem schlichten, dezent geblümten Baumwollkleid, hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und kontrollierte ihre eigenen halblauten Fingerübungen. Wer sie so am Flügel sitzen sah, hatte das Gefühl, das gegen ihre Zartheit riesige Instrument müsse sie gleich zerdrücken, und man müsse ihr helfen, das schwarze Biest von ihr wegzerren, sie vor dem Überrolltwerden retten. Es sah aus wie der Kampf eines ängstlichen Zwerges gegen einen brüllenden Titanen. Nur wenn man näher herankam, änderte sich das Bild. Da sah man, daß diese alte, zarte Frau mit dem schmalen Gesicht die alleinige Herrscherin war, daß ihre langgliedrigen Hände bei jedem Griff Sieger blieben, daß alles, was an Musik aus dem großen Flügel strömte, vollendete Harmonie und Klarheit war.
    Corell und Danica standen nahe an dem Absperrseil und sahen hinüber zur Bühne. »Ist sie das?« fragte Danica.
    Corell hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Gibt es noch eine andere Clara Soffkov, die Klavier spielt?«
    »In Jugoslawien nicht.«
    »Dann muß sie es sein.« Er

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