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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bestimmt beschossen. Allein bin ich am sichersten. Gut, wenn es Sie beruhigt … ich binde auch noch eine Lazarettfahne über die Rücksitze.«
    »Sie können sich einnähen lassen … es bleibt Blödsinn, was Sie machen wollen!« Stabsarzt Dr. Weber setzte sich, stopfte eine Pfeife und zündete sie an. Nebenan, nur durch eine dünne Holzwand getrennt, hörte man Rumoren, Stimmen, ab und zu einen fast tierischen Aufschrei, Fäuste trommelten gegen die Wand … dort lagen die schrecklichsten Verwundeten des Feldlazaretts, die Dr. Weber so nahe wie möglich bei sich haben wollte, um jederzeit eingreifen zu können: Die Hirnverletzten. Arme Kerle, denen man den Verstand aus dem Kopf und den Irrsinn hinein geschossen hatte, die man ans Bett fesseln mußte oder die man solange mit Morphium betäubte, bis sie von den Lazarettwagen weggeholt wurden in das Krankenhaus von Ljubljana. Wer diesen Transport überlebte, wurde dann mit einem Lazarettzug nach Österreich gebracht … zurück in ein Leben, das für sie keinen Sinn mehr hatte. Menschliche Wracks, stammelnd, lallend, durch einen einzigen Schuß wieder zum Säugling geworden. Dr. Weber nickte gegen die hölzerne Wand. Im Nebenraum schrie jemand wie ein gefolterter Hund. »Feldwebel Brennerburg. Das einzige, was er noch kann, ist schreien und auf allen vieren kriechen. Vor drei Wochen war er noch der beste Schwimmer des 2. Bataillons.«
    »Ich weiß, Herr Stabsarzt.« Dr. Corell faltete die Anforderungslisten für die Apotheke in Pula zusammen und steckte sie in die Meldetasche. »Ich habe ihn ja in Behandlung.«
    »Und das reicht Ihnen nicht?«
    »In Baracke III liegen Verwundete mit Doppelamputationen. In VI Lungen- und Bauchschüsse. In I die schweren Splitterverletzungen.« Corell sah Dr. Weber mit jener Unbekümmertheit an, wie sie nur die Jugend haben kann. »Ich weiß, was Sie mir sagen wollen, Herr Stabsarzt: Ich will nicht, daß ich Sie in einer Stunde als Krüppel wieder zurückbekomme.«
    »Ihre Auffassungsgabe ist genial, Corell.«
    »Wenn ich keine Verbände und Medikamente hole, sind wir übermorgen blank, Herr Stabsarzt. Dann ist das hier kein Feldlazarett mehr, sondern eine Hölle mit 47 brüllenden Teufeln.«
    »In der Hölle leben wir schon seit Jahren. Daran habe ich mich gewöhnt.« Weber tippte mit dem Pfeifenmundstück auf ein paar Listen, die auf dem Tisch lagen: »Für Freitag ist der Transport aus Pula zugesagt.«
    »Und wenn er auch wieder überfallen wird?«
    »Aha! Sie sagen es! Sie rechnen damit, daß die Partisanen auch diese Kolonne überfallen – nur der hehre Held Corell ist unverwundbar und kommt durch. Ich sollte Sie festbinden wie die Hirnverletzten, Herr Unterarzt!«
    »Ich habe allein die größte Chance. Das ist es ja.«
    »Die Partisanen sehen einen Floh auf der Straße.«
    »Zugegeben. Aber sie wissen auch, woher ich komme. Und sie wissen, daß wir hier neun Mann von ihnen versorgen. Daß wir sie ärztlich behandeln wie unsere Leute, daß wir ihnen das Leben gerettet haben.« Corell hängte die Meldetasche an sein Koppel und rückte die Lammfellmütze tiefer ins Gesicht. »Ich melde mich ab, Herr Stabsarzt.«
    »Ich nehme die Meldung nicht an, Herr Unterarzt!«
    »Ich fahre trotzdem. Wir haben nur noch zehn Morphiumampullen.«
    »Das weiß ich!« schrie Dr. Weber und sprang auf. »Und ab übermorgen verbinde ich mit Lokuspapier … davon haben wir dank einer vorzüglichen Organisation zehn Kartons voll hier. Corell, ich befehle Ihnen: Sie bleiben hier oder fahren in Begleitung eines MG-Trupps.«
    Corell schüttelte den Kopf. Er war bis zur Tür gegangen und drehte sich dort um. Dr. Weber stand an der Wand zu dem Zimmer der Hirnverletzten, groß, breit, ein massiger Mann, von dem man erwartete, daß er Bäume ausreißen konnte, und der jetzt nicht in der Lage war, das Zucken in seinem Gesicht zu bezwingen.
    »Sie haben Angst, Herr Stabsarzt –«, sagte Corell verwundert.
    »Ja.« Dr. Weber nickte schwer. »Vor Ihrem Untergang, Corell.«
    »Es ist Krieg.«
    »Auch im Krieg soll man denken. Das ist ja das Unglück in dieser Welt, daß jeder, der eine Uniform trägt, plötzlich hirnatrophisch wird. Daß sich sein Gehirn in einfachen Brei verwandelt. Als ich 1939 loszog und über die polnische Grenze marschierte, habe ich mit den anderen ›Hurra!‹ und ›Heil!‹ gebrüllt. Irgendein Mechanismus in meinem Denkvermögen war verbogen worden. Aber das änderte sich schnell … und jetzt denke ich wieder, klarer als je. Und ich sage

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