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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stand auf. »Ich frage sie.«
    Danica hielt ihn fest. Ihre Augen waren weit geworden. »Hast … hast du damals auf sie geschossen?« fragte sie.
    »Nein! Mein Gott, Danica, hast du das gedacht?«
    »Ja. Es war Krieg. Was ist damals nicht alles geschehen.«
    »Es war alles ganz anders.«
    Corell stieg die paar Stufen hinunter bis zur Bühne und überkletterte das Absperrseil. Sofort kam einer der Männer vom Podium und wedelte mit beiden Armen. Er rief etwas in Slowenisch, dann in Deutsch: »Gesperrt! Nicht weitergehen …«
    Corell half Danica über das Seil und blieb an der Treppe zum Podium stehen. Der Mann baute sich vor Corell auf, als wolle er mit ihm boxen. »Sehen Sie nicht das Seil?« sagte er grob.
    »Wenn man drüberklettert, muß man es auch sehen.«
    »Glauben Sie, wir haben die Seile zum Turnen gezogen?«
    »Dazu wäre es zu heiß.« Corell blickte hinauf zu Clara Soffkov. Ihre alten, zarten Finger glitten über die Tasten. Sie hatte sich etwas nach vorn gebeugt und kontrollierte irgendeine Passage. Ein paar wirbelnde, hymnische Takte.
    »Chopin –«, sagte Corell. »As-Dur.«
    »B-Dur!« Der Mann spreizte die Beine. »Gehen Sie zurück hinter das Seil. Frau Soffkov gibt keine Autogramme.«
    »Ich möchte sie sprechen.«
    »Unmöglich.«
    »Wie können Sie unmöglich sagen, wenn ich vier Meter vor ihr stehe? Das sollten Sie sich mal überlegen.«
    »Wenn Sie nicht zurückgehen hinter das Seil, muß ich unhöflich werden«, sagte der Mann. »In Ihrem Interesse, mein Herr, vermeiden Sie Aufsehen. Was wollen Sie denn von Frau Soffkov.«
    »Sie nur etwas fragen …«
    »Frau Soffkov gibt auch keine Interviews.«
    »Es ist eine ganz persönliche Frage.«
    »Ich glaube nicht, daß Frau Soffkov eine persönliche Frage von einem Deutschen annimmt …«
    »Der Krieg ist 25 Jahre vorbei. Das sollte Sie auch wissen.«
    »Es gibt Dinge, die verjähren nie«, sagte der Mann kalt. »Gehen Sie zurück, – es ist meine letzte höfliche Bitte –«
    »Es hat keinen Zweck, Sascha«, sagte Danica hinter Corell. »Man kann Mauern nicht umrennen, aber man kann über sie hinwegschreien.« Sie baute sich vor dem verblüfften Mann auf, sagte etwas auf Slowenisch zu ihm, und bevor er antworten konnte, rief sie so laut, als sollte es jeder in der riesigen Arena hören:
    »Ein Deutscher möchte Clara Soffkov sprechen!«
    Das Klavierspiel brach mit einem Mißton ab. Der weißhaarige Kopf zuckte herum, die Hände fielen in den Schoß.
    »Sie verrücktes Weib!« brüllte der Mann und ging auf Danica los. Corell sprang dazwischen und stieß ihn vor die Brust, aber der Mann war ebenso groß wie Corell und nicht vom Alkohol ausgelaugt. Er holte aus, um mit der Faust zuzuschlagen, doch bevor es zu einer Schlägerei kam, unterbrach ein Aufheulen des Flügels jede Aktion. Clara Soffkov hatte mit beiden Händen auf die Tastatur geschlagen. Der Schwall der zertrümmerten Töne schwebte noch über ihnen, als Corell und der Mann so nahe voreinander standen, daß ihr Atem sich vermischte.
    Clara Soffkov hatte den Kopf zu ihnen gedreht. Sie hatte schöne, blaugrüne Augen, aber es waren tote Augen. Eine drückende Stille lag plötzlich unter dem blauen Sonnendach. Die anderen Männer auf der Bühne waren herbeigelaufen und umstanden den Flügel wie ein Wall.
    »Wer ist da?« fragte Clara Soffkov. Ihre helle Greisenstimme durchschnitt die Stille. Es war, als zerrisse die Luft mit einem Knirschen. »Was für ein Deutscher …?«
    Corell starrte sie an. Der Mann vor ihm trat aus dem Weg und stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.
    »Nun reden Sie«, knurrte er leise. »Aber ich verspreche Ihnen, daß ich Sie der Miliz übergebe …«
    »Clara Soffkov …«, sagte Corell leise. Er ging noch zwei Stufen das Podium hinauf und blieb dann stehen, festgenagelt von den toten Augen. »Sie sind es wirklich. Ich habe bis heute nicht gewußt, daß es Sie noch gibt. Aber ich habe immer gehofft, daß Sie Amerika erreicht haben …«
    Über das lauschende Gesicht der Greisin lief ein Zucken. Die Züge veränderten sich, wurden auf eine zauberhafte Art jünger, leuchteten von innen.
    »Diese Stimme –«, sagte Clara Soffkov. Sie hob die rechte Hand und streckte sie nach Corell aus. »Es ist Ihre Stimme … nur tiefer, rauher … aber es ist Ihre Stimme … Kommen Sie her … Warum haltet ihr ihn denn zurück, er soll zu mir kommen … Ihr wißt ja nicht, wer das ist … aber ich erkenne ihn an der Stimme … nicht wahr … Sie sind es … Sie haben zu mir

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