Ein Sommer und ein Tag
auf uns beide, dass es sowieso schon egal war. Du hast dich geweigert, es zu überdenken.»
«Völliger Schwachsinn!», brause ich auf. Mein altes Ich hätte ihn nie freigesprochen. Oder vielleicht doch? Vielleicht habe ich mich so wohl dabei gefühlt, Entschuldigungen für meinen Vater zu suchen, dass ich bei meinem Mann dasselbe getan habe. Wer weiß das schon?
«Es ist mir egal, was du davon hältst! Damals hat sich alles geändert – plötzlich hast du alles umgekrempelt, was deinem Leben einen Sinn gegeben hat. Und irgendwann haben wir ebendeswegen nicht mal mehr miteinander gesprochen. Glaubst du wirklich, ich hätte dich jetzt noch mal damit konfrontiert? Wer zweimal denselben Fehler begeht» – jetzt bebt ihre Stimme ein bisschen, fast beruhigend, finde ich –, «na ja, du kennst ja den Spruch.»
«Nein, kenne ich nicht.»
«Ist selber schuld», sagt sie. «Wer zweimal denselben Fehler begeht, ist selber schuld.»
«Nelly, bitte, wir hätten es dir erzählen sollen», beschwichtigt Samantha mich. «Und ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber es tut mir sehr leid, dass wir es nicht getan haben.»
«Das Kind», frage ich bemüht ruhig, «wusstet ihr das auch und habt es mir nicht gesagt? Dass ihr es wusstet, meine ich? Was hatte ich vor? Wie ging es mir?»
Sie schütteln synchron den Kopf.
«Das habe ich dir doch schon im Krankenhaus gestanden – ich wusste nichts davon. Wie gesagt, wir haben nicht miteinander gesprochen», versichert Rory.
«Ich schwöre auf unsere Freundschaft, dass ich nichts davon wusste», wiederholt Samantha.
Mein Gott, ist das jämmerlich , denke ich. Und dann wird mir klar, dass ich über mich dasselbe denke, weil ich nicht in der Lage war, die Hand auszustrecken, als ich es wirklich gebraucht hätte. Nicht mein vorhin an der Presseabsperrung neu entdecktes Selbstvertrauen war das Problem, das ist nicht das, was mir fehlt. Ganz im Gegenteil: Ich müsste endlich mal lernen, mich anzulehnen, auch wenn ich wie immer glaube, allein zurechtzukommen. An Märtyrertum hat es mir offensichtlich noch nie gemangelt. Aber Verletzlichkeit, tja, das ist eine ganz andere Nummer.
Anstatt diese neue Erkenntnis zuzugeben, schwanke ich zum Laptop hinüber und schalte ihn ein. Der Bildschirm erwacht zum Leben, als Hintergrund ein Foto aus einem Urlaub, an den ich mich nicht erinnern kann, voll mit nichtssagenden Palmen und zwei Fremden, die in die Sonne blinzeln: Peter und ich, früher, vorher, vor alledem.
«Nell? Was tust du da?», will Anderson wissen. «Komm, lass das lieber sein.»
Ich winke ab, was Halt den Mund! heißen soll, und fahre das Programm mit Peters E-Mails hoch. Vor lauter Whiskey und Wein sehe ich schon alles doppelt, aber nicht doppelt genug, als dass es mich davon abhalten könnte, nach intimen Einzelheiten dieser verdammten einjährigen Affäre zu suchen, als er sich für sie entschied. Für sie! Taucht im Krankenhaus auf und tut alles dafür, um zu erreichen, dass ich ihn will, dass ich sein Baby will, dass ich mich überwinde, ein Leben mit ihm zu wollen! Erzählt mir von Paris, davon, wie wir uns verliebt haben, alles über mich, jeden Scheiß, nur weil es sonst nichts gab, woran ich glauben konnte.
Tja, ich habe daran geglaubt. Ich habe ihm geglaubt. Kein Wunder, dass ich mit Verletzlichkeit nie was am Hut hatte.
Auf den ersten Blick gibt es in seinen Mails nichts, was ihn verraten könnte – die Fingerabdrücke wurden längst vertuscht, also knalle ich den Laptop wieder zu und lasse den Blick durchs Zimmer schweifen, auf der Suche nach Beweisen.
«Fertig? Geht es dir besser?», erkundigt Rory sich, und ich weiß nicht, ob in ihrer Stimme Mitgefühl oder Sarkasmus mitschwingt.
«Was hast du eigentlich für ein Problem?» Ich fahre zu ihr herum.
«Was hast du für ein Problem?», fragt sie zurück. «Geht es dir besser?, habe ich dich gefragt. Was kann man daran bitte falsch verstehen?»
«Bitte, hört auf damit», mischt Samantha sich ein. «Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für eure Streitereien.»
«Du hast recht.» Rory holt tief Luft und kaut auf ihrer Lippe. «Tut mir leid.»
«Was? Das Rumgehacke oder das, was du gesagt hast?»
«Beides, okay? Kannst du nicht einfach mal eine Entschuldigung akzeptieren und es gut sein lassen? Musst du es allen immer besonders schwer machen?»
«Ich mache es nicht immer allen besonders schwer!» Der Griff nach dem Glas ist zu hektisch, und ich schütte mir Rotwein über das auberginefarbene
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