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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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der Wohnungstüren ist mit einem fertig gekauften, traurig aussehenden Kürbis aus Pappe geschmückt. Der hilflose Versuch, den Flur für Halloween zu verschönern, was noch Wochen hin ist. Vor Apartment Nummer 513 bleibt Tina stehen, holt einen riesigen Schlüsselbund aus der Tasche und muss erst einige ausprobieren, ehe sie den richtigen findet. Mit einem zuversichtlichen Klicken öffnet sich das Schloss. «Du hast dich auf den ersten Blick in diese Wohnung verliebt», erzählt sie mir. Das Echo unserer Absätze hallt durch den Flur, als wir den Dielenboden betreten. «Du meintest, es würde sich fast urtümlich vertraut anfühlen, wie sehr die Wohnung dich anspricht. Das habe ich mir gemerkt, weil ich es so poetisch fand.»
    Ich sehe mich um. Das offene Wohnzimmer ist riesig, trotz des trüben Regenwetters lichtdurchflutet, mit hohen Decken, und auch die unverputzte Mauer und der offene Kamin, von dem Tina mir erzählt hat, sind da. Der Anblick der Holzbalken an der Decke spricht etwas in mir an. Ich starre hinauf und frage mich, weshalb sie mir so vertraut vorkommen. Wieso dieser Ort mir ein Gefühl der Ruhe gibt und mich gleichzeitig an den Rand meiner Nerven treibt. Ich trete an die Fensterfront. Der Blick geht auf den East River hinaus. Regentropfen laufen über die Scheiben, und der Fluss unten sieht bedrohlich aus, aufgewühlt von dem Gewitter, das sich am Himmel zusammenbraut.
    Ich schließe die Augen. In meinem Kopf höre ich immer noch die Smiths singen, die mir jetzt als Soundtrack dienen, als Landkarte für den Weg meiner Gedanken.
    «It’s not my home, it’s their home. And I’m not welcome no more.»
    Wann habe ich diese Wohnung zum ersten Mal gesehen? Vor fünf, sechs Monaten? Im April. Es muss im April gewesen sein. Es war gerade Frühling geworden. Ich öffne die Augen und stelle mir den Fluss vor, wie er aussieht, wenn er ruhig und einladend ist, und dann kommt es.
    Natürlich!
    Ich erinnere mich jetzt ganz deutlich an den Sommer bei meinem Vater. Es war nicht im Haupthaus. Es war … wo? In seinem Atelier. Das sagt mir mein Bauchgefühl. In dieser Erinnerung ist der Teppich unter meinen Füßen derselbe, der jetzt in meinem Schlafzimmer liegt. Ich bin barfuß, und das Gewebe ist noch nicht so abgetreten wie heute. Es fühlt sich angenehm an, kitzelt an meinen Fußsohlen. Genau wie jetzt auch sind im Hintergrund dröhnend die Smiths zu hören, aber ich weiß nicht, ob meine Synapsen mir einen Streich spielen oder ob es wirklich so war. Direkt vor mir befindet sich ein riesiges Panoramafenster, das beinahe den ganzen Raum einnimmt. Direkt davor ist Wasser. Ein Teich? Ein Fluss? Es ist ein unglaublich schöner, strahlender Tag, und mein dreizehn Jahre altes Ich sehnt sich danach, hineinzuspringen. Also gehe ich meinen Vater suchen, um ihn zu bitten, mit mir rauszukommen und zu spielen. Mein Vater … ich starre auf die regengraue Skyline hinaus und durchforste mein Hirn auf der Suche nach ihm. Da ist er! Da, in einer Ecke, an die Ziegelmauer seines Ateliers gelehnt, zusammengekrümmt wie eine Kugel, ein Fötus. Er schluchzt und stöhnt, gibt Geräusche von sich wie ein verlassenes Seehundbaby. Überall an den Wänden sind frische Farbspritzer, zu seinen Füßen eine umgeworfene Staffelei. Direkt neben den Teppichfransen liegt eine einsame, leere Dartscheibe auf dem Boden. Mein Kinder-Ich steht im Türrahmen und beobachtet ihn. Vorsichtig mache ich einen Schritt zurück, und dann noch einen, schleichend, damit keiner merkt, was ich gesehen habe. Ich will noch einen Schritt rückwärts machen, als mein Knöchel umknickt und ich polternd zu Boden stürze. Neben mir fällt ein Baseballschläger um – das Bild in meinem Fotoalbum  –, und ich höre nebenan meinen Vater aufspringen. Dann ist er plötzlich über mir, sein Schatten verdunkelt den strahlenden Sonnenschein, der von draußen hereinfällt. Unter seinem Ziegenbart ist er leichenblass; die Ringe unter seinen Augen sind fast schwarz.
    «Verschwinde von hier, Nell!», sagt er schwach, ohne Bosheit in der Stimme.
    «Sei nicht traurig, Daddy.» Ich stehe wieder auf.
    «Manche Dinge kann man nicht ändern», murmelt er im Weggehen, auf dem Weg zurück in seine Ecke.
    Donner grollt über dem East River, und so schnell, wie sie gekommen ist, ist die Erinnerung wieder verschwunden.

    Auf dem Weg hinaus fallen mir, als Tina die Wohnungstür abgeschlossen und ihren abartig großen Riesenschlüsselbund in der Handtasche verstaut hat, meine eigenen

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