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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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geheimnisvollen Schlüssel wieder ein. Ich fasse in das vordere Fach meiner Geldbörse.
    «Du scheinst eine ausgewiesene Schlösserexpertin zu sein», stelle ich fest und lege ihr die drei Schlüssel in die Hand. «Wozu gehören die, deiner Meinung nach?»
    Sie dreht jeden Schlüssel einzeln um, untersucht sie mit prüfendem Blick wie eine Biologin und fährt mit dem Finger den gezackten Bart nach.
    «Das sind Haustürschlüssel», sagt sie. «Auf keinen Fall Schlüssel zu einer Wohnung in New York, und für ein Bankschließfach, ein Vorhängeschloss oder eine Speichertür sind sie zu groß.»
    «Aber ich habe kein Haus», bemerke ich ratlos.
    «Na ja», antwortet sie, als der Lift uns wieder nach unten bringt. «Du vielleicht nicht, aber irgendwer schon.»

[zur Inhaltsübersicht]
    23
    J amie und ich treffen uns am Samstag für unser nächstes American-Profiles -Interview. Die Produzenten wollen das wunderbare Oktoberwetter nutzen und im Central Park drehen.
    «Die wollen einen schönen, melancholischen Herbstspaziergang, fallende Blätter und dazu dein nachdenkliches Gesicht», erklärt Anderson, als er mich mit der Limousine abholt, die der Sender zur Verfügung gestellt hat. Anderson hat darauf bestanden, dabei zu sein. Er will mir zur Seite stehen und sichergehen, dass ich nicht überfordert werde – schließlich bist du die Frau, die mir das Leben gerettet hat, zitiert er unseren kleinen, aber immer noch wahren Insiderwitz – und dass Jamie mich nicht ausnutzt, obwohl ich Anderson versichert habe, dass er das niemals tun würde.
    «Hast du es dir immer noch nicht anders überlegt?», frage ich ihn. Ich weiß, dass Jamie noch einmal versucht hat, ihn zu ein paar Worten zu überreden, und ihm gesagt hat, er wäre nun mal Teil meiner Geschichte, ob es ihm gefiele oder nicht.
    «Immer noch nicht», antwortet Anderson. «Keine Presse mehr. Keine unnötige Presse mehr.»
    «Dir ist aber schon klar, wie fies das klingt, oder? Als würdest du sie mit einem Stock vertreiben.»
    «Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich bin fies.» Anderson schüttelt den Kopf. «Ich war es zumindest. Gerade bessere ich mich etwas. Versuche, dem ganzen Rummel nicht mehr allzu viel Beachtung zu schenken. Und ich versuche, mich daran zu erinnern, dass der Star einer inzwischen eingestellten Fernsehserie und ein paar mittelmäßiger Filme zu sein nicht alles ist, dass davon die Welt nicht besser wird.»
    «Aber Spielberg hat trotzdem angerufen.» Ich rutsche näher, lege meinen Kopf auf seine Schulter und gestatte meinen Augen, sich unter der Last meiner Erschöpfung zu schließen. Letzte Nacht zwischen eins und drei hat dreimal das Telefon geklingelt – jedes Mal wurde wieder aufgelegt –, und ich konnte nicht mehr richtig einschlafen. Stattdessen lag ich wach und grübelte darüber nach, wer am anderen Ende gewesen sein mochte: Verwählt? Ginger? Nein, nein, nicht Ginger. Mein Vater? Letzteres war zwar völlig absurd, aber der Gedanke war trotzdem da. Um vier gab ich schließlich der Schlaflosigkeit nach und stand auf, wütend über mich selbst, weil ich mich immer noch der Phantasievorstellung hingab, meine Mutter könnte sich geirrt haben – und mein Vater würde sich nach all den Jahren doch wieder melden. Ich ging in die Küche und kochte den stärksten Kaffee, den ich vertragen konnte. Von fünf Uhr morgens an saß ich dann auf meiner Couch, starrte das Bild meines Vaters über dem Kaminsims an und wartete darauf, dass Anderson mich abholte.
    Der Fahrer lässt uns an der Sechsundsechzigsten Straße raus, am Eingang zum Park neben der alten Tavern On The Green. In der Sackgasse stehen drei Pferdekutschen und warten auf Kundschaft. Die Tiere wirken gelangweilt und depressiv, die Kutscher sitzen auf einer Bank und rauchen. Die Wege und Bordsteine sind mit orangefarbenen Blättern übersät, und in der Luft hängt der Geruch nach verbrannten Kürbissen; als hätte in Central Park West irgendwer seinem Holzofen genügend Brennstoff gegeben, um die ganze Stadt einzuräuchern. An der Traverse wartet Jamie mit Rory und meiner Mutter, die beide je ihre eigene Version meiner Geschichte beitragen werden. Sie winken uns zu, wir überqueren die Straße und gehen zu ihnen.
    Meine Mutter küsst Anderson zur Begrüßung und schließt mich fest in ihre Arme. Ich atme eine Wolke Patschuli-Öl ein und muss einen Würgreflex unterdrücken.
    «Bist du nervös?», will sie wissen. «Mir ist nämlich eingefallen, was du als Kind immer getan hast,

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