Ein Sommer und ein Tag
der übelsten Sorte.»
«Gibt es denn noch andere?», scherze ich, aber es verpufft ungehört.
«Ja, die gibt es tatsächlich», sagt Anderson. «Meine Leute sprechen nicht mal mehr mit ihr.»
«Deine Leute?»
Er merkt, was er gesagt hat, und macht ein würgendes Geräusch. «Okay. Zurückspulen, bitte. Ignoriere, was ich eben gesagt habe. Paige ist boshaft, darum geht es mir. Wenn sie hinter einer Geschichte her ist, kann sie keiner mehr stoppen, auch wenn PR-Agenten sich noch so sehr bemühen, sie daran zu hindern. Du weißt schon: ihr künftige Exklusivgeschichten anbieten oder ihr einen anderen Tipp geben. Dann bringt sie eben beides. Sie geht über Leichen. Tut alles, um sich einen Namen zu machen.»
«Geht es jetzt darum, dass sie, seit du zurück bist, jede Woche mindestens einmal über dich schreibt?», will ich wissen und möchte schon die neuste Schlagzeile zitieren – «Randy Andys neueste Punktlandung!» –, aber ich merke, dass er es ernst meint, und schlucke es runter.
«Nein, nein, überhaupt nicht» – er zieht den Reißverschluss seiner Jacke einen Zentimeter weiter nach oben –, «auch wenn es zeigt, wie weit sie geht. Keiner meiner Freunde erzählt ihr, mit wem ich zusammen war, was ich so treibe. Aber sie hat offensichtlich über uns beide ihre Quellen, und sie macht sicher nicht halt davor, diese Quellen zu nutzen.»
«Und was wollte sie in der Galerie?», fragt Rory nett, offensichtlich ein Friedensangebot.
«Ich versuche gerade, das herauszufinden. Ich habe ein paar Leute angerufen.»
«Aber was sagt dein Bauchgefühl?», will ich wissen, bevor mir klar wird, dass ich schon lange aufgegeben habe, meinem eigenen Bauchgefühl zu trauen. Warum zum Teufel sollte ich also seinem trauen?
«Weiß ich nicht genau», antwortet er. «Aber eins steht fest: Wo Paige Connor auftaucht, ist in Kürze der Teufel los.»
Meine Mutter, die kein Drama scheut, lässt für die Kameras ihre innere Schauspielerin heraus. Tränen fließen, als sie von unserer Kindheit spricht, Tränen fließen, als sie über den Absturz spricht, und Tränen fließen – stille, stoische Tränen –, als sie stumm auf den nächsten Baum blickt, während die Kamera sich langsam von ihr entfernt. Während ich am Rand stehe und ihr zusehe, durchfährt mich ein Stich des Mitgefühls. Nicht weil ich ihr all die Tränen abnehme, sondern weil sie wirklich gelitten hat. Deswegen steht es ihr zu, die Trauer offen zu zeigen, und wenn es landesweit im Fernsehen ist.
«Die Eiskönigin taut auf», sage ich laut, auch wenn Anderson es nicht kapiert und Rory außer Hörweite steht.
Auf der Traverse hat sich eine kleine Menge Schaulustiger versammelt, um uns bei dem kleinen Melodram zuzusehen. Anderson hat ein paar Autogramme verteilt, hauptsächlich an Frauen Mitte zwanzig, die, als er bei ihnen stehen bleibt, sogar noch unter ihren warmen Jacken ihre Brüste rausstrecken und die Haare über die Schultern fallen lassen. Er sonnt sich in ihrer Aufmerksamkeit, aber er ist schneller von ihnen gelangweilt, als ich vermutet hätte, und kommt bald wieder zu mir, zurück an meine Seite.
«Ich dachte schon, du wolltest dir eine für den Nachmittag mit nach Hause nehmen», stichele ich.
«Zu früh», antwortet er. «Ich habe eine neue Regel: Kein Sex vor sechs.»
«Beeindruckend. Du legst die moralische Latte ja ganz schön hoch.»
«Ich versuche es.» Wir lächeln uns an, weil wir beide wissen, dass es stimmt und er es wirklich versucht. Dass er noch vor einem halben Jahr seine Hand in der hinteren Hosentasche einer der Brünetten versenkt und das nächste Taxi angesteuert hätte.
Als Jamie die Sprache auf meinen Vater bringt, stellen die Tränenkanäle meiner Mutter ihre Tätigkeit unverzüglich ein. Er hat mir gestern Abend per E-Mail erklärt, dass sie um das Thema nicht herumkommen würden. Besser gesagt: Mein Vater war das Thema in den Medien. Fast jeder, der jetzt zuschaltete, wusste, wer er war. Dank mir war er berühmter als je zuvor. Rory hat mir letzte Woche anvertraut, die Angebote, die für die letzten vorhandenen Bilder reinkamen, wären hoch genug, um sämtlichen nicht existenten Kindern die Ausbildung zu finanzieren. Ein Kommentar, den ich ignorierte, weil sofort wieder ein ganzer Haufen Fragen rund um meine Schwangerschaft auftauchte. Ich hätte mit Liv darüber reden sollen, darüber, dass ich diese Gefühle ganz weit unten in meinen emotionalen Abgründen versteckte. Aber es war viel einfacher, es nicht
Weitere Kostenlose Bücher