Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

mir »gutes Karma«.
    Gutes Karma. Äußerungen einer Todkranken misst man eine andere Bedeutung bei. Da gibt es kein Geschwätz. Ich präge mir das für später ein – ihre Stimme in meinem Ohr. Gutes Karma. Ich weiß das festzuhalten und als einen Segen der besten Sorte in mein Herz einzuschließen. Als Aufforderung, das Leben in dem Glauben zu leben, dass alles möglich ist. Insbesondere weil diese von der »Zweitmutter« meines Mannes kommt. Von einer unvergleichlich lebensklugen Frau.

    Es ist total seltsam. Jetzt, nachdem er fort ist und nur die Kinder und ich zu Hause sind, der Fernseher kalt und der Herd warm ist, klassische Musik zwischen den Bücherregalen ertönt, eine Kanne Tee auf dem Tablett steht – da verspüre ich etwas wie Erleichterung.
    Nach diesem ganzen langen Sommer möchte ich aufseufzen und am liebsten gar nicht mehr damit aufhören, bis sich alle Spuren von Angst und Kapitulation auflösen und durch die Polster der Couch und den Dielenboden, durch das Fundament unseres Hauses in die Erde und dort durch die Schichten aus Fels und Ton und Lehm bis hinunter zum Obsidian verflüchtigen. Vor allem möchte ich weder fähig noch gut, noch
sexy oder sonst irgendwas Substantielles sein müssen. Ich möchte die Kinder früh zu Bett bringen und dann in mein Bett kriechen und fernsehen. Anspruchsloses Programm. Jedenfalls kein Ballsport.
    Eine Zeitlang zappe ich zwischen Will & Grace und Wiederholungen von Sex and the City , Iron Chef und Letterman. Ich kann mich nicht erinnern, wann sich mein Leben das letzte Mal dermaßen unkompliziert und leicht angefühlt hat. Ich spüre, wie ich selbst locker lasse. Und ich schlafe und schlafe und schlafe. Keine Träume – oder zumindest keine, an die ich mich erinnern könnte. Ich wache exakt in der Position auf, in der ich acht Stunden zuvor eingeschlafen bin. Dann werfe ich einen unbelasteten ersten Blick auf die Bäume vor meinem Schlafzimmerfenster. Das könnte mein erster erholsamer Schlaf seit Italien sein.
    Ich bringe die Kinder zum ersten Schultag nach den Ferien, und alles läuft so reibungslos. So leicht. Selbst der Besuch in der Planungsabteilung des County und mein erzwungener Crashkurs in Wasserschichten, Augebieten, Überschwemmungsgebieten und Niederschlagsablauf, um mich für den bevorstehenden Kampf gegen die Neubausiedlung zu wappnen … ist leicht. Auch wenn ich durchaus weiß, dass wir schnell reagieren müssen und es anstrengend werden wird.
    Gemäß unseren Gesetzen muss ein Bauunternehmer, der eine Wohnanlage mit mehr als fünf Einheiten plant, nur die Nachbarn darüber informieren, die in einem Radius von 45 Metern rundherum wohnen. Das kann angesichts der hier üblichen großen Grundstücke, die oft von Flüssen oder Straßen durchschnitten werden, bedeuten, dass nur ein oder zwei Leute überhaupt von so einem Bauvorhaben wissen.
    Genau das ist bei diesem Projekt der Fall. Wenn man also nicht so clever ist, die behördlichen Bekanntmachungen in
der Tagespresse zu lesen, oder zufällig die kleine Bautafel auf dem Nachbargrundstück wahrnimmt, dann kann es einem passieren, dass man eines Tages fast im eigenen Garten die Wohnanlage Adlerblick aufragen sieht. Und das mitten im hintersten Winkel Montanas, das ansonsten bis zum heutigen Tage größtenteils unberührt ist. Dann kann man nur noch den Adlern zum Abschied zuwinken, weil die sich rasch vom Acker machen. Man selbst trifft dafür ab jetzt gelegentlich auf Leute in karierten Flanellpyjamas, die von ihrer asphaltierten Zufahrt aus nach Adlern Ausschau halten und sich dabei fragen, warum der Katalog der Immobilienfirma sie so frech belogen hat.
    Also gebührt mein Dank den paar Nachbarn des betreffenden Grundstücks, denn ihren Adleraugen ist es zuzuschreiben, dass wir wenigstens wissen, was vor sich geht. Allerdings bleiben uns nur fünf Tage, um abzuwehren, was in unserer ländlichen Gegend ein Präzedenzfall für Bauvorhaben werden könnte. Denn wenn der Ein-Morgen-Parzellierung einmal zugestimmt wurde, dann gibt es kein Halten mehr vor der Verwandlung unserer Gegend in eine Vorstadt. Montana besitzt einfach nicht die nötige vorausschauende Gesetzgebung, um verantwortungsvolles Wachstum sicherzustellen. Noch nicht.
    Verantwortungsvolles Wachstum. Es fühlt sich ziemlich gut an, sich diesen Prozess vorzustellen. In Bezug auf die Erschließung des Landes wie auch in Bezug auf meine Ehe. Und auf mich. Es tut so gut, sich auch wieder auf etwas anderes als meine Partnerschaft und mein