Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Couch und verschütten die Chips.
Meine Tochter kommt rein, um zu sehen, was der Lärm soll, wirft einen Blick auf den Sport und einen auf mich, um zu befinden, dass wir alle Loser sind. Dann zieht sie sich wieder in ihr Zimmer zurück, in dem sie den ganzen Nachmittag auf dem Bett rumgammeln und genervt die Augen verdrehen kann. Vorher bemerkt sie allerdings noch spitz: »Aber Mom, ist Facebook nicht was für … für junge Leute?«
Das genügt, damit ich rotsehe.
Gierig trage ich jeder einzelnen Person, an deren Namen ich mich aus welchen Netzwerken auch immer noch vage erinnern kann, meine Freundschaft an. Wie der letzte gesellschaftliche Emporkömmling werfe ich mich den Freunden von Freunden an den Hals. Schamlos flirte ich Typen an, von denen ich nur weiß, dass sie einmal vor dreißig Jahren auf mich gestanden haben. Mit nicht jugendfreien Anspielungen verlocke ich sie, mich als Freundin zu akzeptieren.
Und dann wartet man. Und lädt inzwischen noch mehr coole Fotos von sich selbst auf sein Profil, damit sie, wenn sie dann auf die Seite kommen, ein noch besseres Bild von einem bekommen, als man selbst es je für möglich gehalten hätte. Das Wasser wird ihnen im Munde zusammenlaufen, wenn sie Ihr Leben sehen, und sie werden sich wünschen, Sie zu sein. Oder Sie geheiratet zu haben. Sie werden das Bild von mir und meinem Mann in Belize sehen und sich sagen: Mein Gott, wie glücklich die beiden wirken. Nach all den Jahren sehen sie immer noch wie Filmstars aus. Ich wette, sie haben Rockstar-Sex.
Dann klickt man auf Profil und stellt fest, dass man immer noch null Freunde hat. Das deprimiert einen Moment lang schon.
Die erste Person, die sich bei mir meldet, ist meine Nichte. Sie ist der totale Facebook-Fan.
»Tante Laura, das ist ja voll witzig, dich auf Facebook zu sehen! Das College ist klasse. Ich mag meine Zimmernachbarin. LG.«
Sie schickt mir einen knubbelig gezeichneten Rosenstrauß. Allerdings entgeht mir nicht, dass sie all ihren anderen Freunden gerade knubbelig gezeichnete Biergläser geschickt hat.
Ich kehre wieder in den Suchmodus zurück. Jetzt habe ich einen einzigen Freund, und der ist auch noch mit mir verwandt. Erbärmlich. Das darf ich niemand sehen lassen.
Ich … muss … doch … noch … mehr … Freunde … haben.
»Was treibst du da eigentlich?«, fragt mein Ehemann und sieht mich heute zum ersten Mal direkt an.
»Bin auf Facebook«, antworte ich lässig.
Er reagiert mit einem Lachanfall.
»Was denn? Das ist cool. Du glaubst gar nicht, mit wie vielen alten Freunden ich da wieder in Kontakt komme.«
Ich verfalle in ein Verhaltensmuster aus meiner Highschool-Zeit.
Siehe da, schon poppt eine Anfrage in Sachen Freundschaft auf. Vom damals einflussreichsten Mädchen auf der Highschool. Die, mit der man sich nicht mal zu reden traute, die einem die Knie zittern ließ. Man kann einwilligen oder sie ignorieren. Diese Macht ist geradezu quälend. Etwa zehn Sekunden lang schaffe ich es, sie zu ignorieren. Ich fühle mich absolut wie damals an der Highschool. Und dann … aber erst dann … tippe ich mit meinem letzten noch intakten Fingernagel auf das Trackpad: bestätigen. Und als ob ich sie gerade zufällig in der Schlange in der Cafeteria getroffen hätte, klicke ich auf ihr Profil. Dort sehe ich, dass sie momentan exakt 1753 Freunde hat.
Das, meine Liebe, bedeutet Krieg! Und so was aus dem Mund einer Frau, die über Football spottet!
Die drei Tage des Labor-Day-Wochenendes verstreichen grau und mit jeder Menge Football. Ich sitze in diesem Schaukelstuhl, den schweren, heißen Laptop auf dem Schoß und netzwerke. Die Kinder machen sich über mich lustig. »Das ist gut für meine Karriere«, sage ich. Daraufhin lachen sie erst richtig los.
Die Sache ist wie eine einzige große Orgie.
Dann erhalte ich eine Nachricht, und die ist noch nicht mal an mich persönlich gerichtet, sondern sie ist sichtbar für alle. Sie stammt von einer Freundin hier am Ort und lautet: »Lasst endlich diesen Face-Blödsinn und kommt sofort her. Es geht um eine idiotische neue Siedlung, die wir verhindern müssen. Wir brauchen eure Unterstützung. Das Treffen dazu findet heute Abend statt. Kommt, dann gebe ich euch nähere Infos.«
Ah, ja! Meine echte Gemeinschaft , erinnere ich mich. Allerdings fällt mir gleichzeitig auf, dass jeder ersehen kann, wie lange ich auf diesem verdammten Facebook war.
Blitzschnell logge ich mich aus. Schiebe den Laptop in die alte Kuriertasche, in der ich ihn immer
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