Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
ertappe ich mich dabei, wie ich mir zuflüstere: »Jetzt suche ich mir im Hutterer-Schulbus Tomaten aus.« Als ich gerade erst nach Montana gezogen war, hat mich so etwas geradezu umgehauen. Es war einfach zu weit weg von der Welt, in der ich aufgewachsen war. Ich pflegte damals immer nervös zu sagen: »So was bringen sie einem in der Schule nicht bei.« Das half mir, ein bisschen von dem Unbehagen loszuwerden, das mich plagte. Damit ist es aber längst vorbei, und jetzt sowieso. Ich bin hier längst offiziell zu Hause und in diesem Huttererbus voller Gemüse ganz bei mir.
Das übrige Gemüse, das ich noch brauche, werde ich von meiner Bio-Farmerin kaufen, mit der ich auch befreundet bin. Aus purer Höflichkeit nehme ich allerdings auch noch eine Flasche Rhabarberwein.
Danach kehre ich in den Kopierladen zurück. Jetzt hole ich die Kopien ab. Jetzt bezahle ich sie. Jetzt sitze ich im Auto und höre Mantras.
Eine Freundin hat mir die CD geschenkt. Ich bin ja nicht wählerisch, was die Herkunft von Weisheit angeht, erinnern Sie sich? Also memoriere ich jetzt ein Mantra gegen Kummer. Omarkayanahmaha . Ich habe keine Ahnung, was das im Wortlaut bedeutet – ich weiß nur, dass es um die Befreiung von Leid geht, und das ist es, was zählt. Das Mysteriöse daran gefällt mir. Ebenso wie eine feste Absicht zu haben und engagiert zu sein. Ich bin total engagiert.
Ich singe es die ganze Strecke den Highway entlang und registriere das Lächerliche wie auch das Erhabene daran, bis ich bei Petco ankomme. Dort muss ich Futter für Houdini, die zahme Ratte meiner Tochter, kaufen. Meine Tochter hängt unheimlich an dem Tier. Wir alle lieben es. Und zwar so sehr, dass wir letzten Monat 150 Dollar für die chirurgische Entfernung
eines Tumors ausgegeben haben. Und das trotz unserer angespannten Finanzlage.
Ich bin bei Petco und kaufe Rattenfutter. Ich liebe eine Ratte.
Danach fahre ich zu Target, weil mein Sohn ein bestimmtes Ringbuch braucht. Ich bin bei Target. Hier ist alles rot und fluoreszierend.
Ich singe den ganzen Weg zum Büro der Umweltanwältin, wo ich die Dokumente abgebe und den hippen Konferenzraum mit Weinflaschen und Espressomaschine bewundere. Dann steige ich wieder ins Auto. Ich fahre zum Haus des Landratskandidaten und lege ihm die Unterlagen auf seine Veranda, auf der lauter Verkleidungssachen von Kindern herumliegen. Ich finde das niedlich. Es fühlt sich so gut an, heute einen Blick auf das Privatleben anderer Leute zu werfen. Einerseits im Dienste der Allgemeinheit, andererseits, um mein Eremitendasein zu beenden.
Danach fahre ich auf die Bio-Farm meiner Freundin, um dort eine Unterschriftenliste auszulegen. Ihr liebevoll gepflegter, hart erarbeiteter grüner Flickenteppich ist angesichts der kurzen Saison und des rauen Klimas im Nordwesten von Montana ein echter Triumph. Meine Freundin kennt das Land hier besser als irgendjemand sonst; seit dreißig Jahren bearbeitet sie es mit ihren eigenen Händen. Sie ist bereit, dafür zu kämpfen wie eine Mutter für ihr Kind. Und die geplante Parzellierung mit all den damit einhergehenden Verschmutzungen grenzt genau an den Fluss, der durch ihr Stück Land fließt. Sie lebt nicht nur in einer Gemeinschaft mit Menschen, sondern in einer mit Erde, Wasser, Flora und Fauna.
Die Sorge über die geplante Bebauung steht ihr ins sonnengebräunte Gesicht geschrieben. »Ich werd dir eine Geschichte erzählen, die selbst Bauträger zum Weinen bringen könnte.
Denn ich glaube nun einmal, dass selbst die ein Gewissen haben.« Sie dreht sich zum Fluss um. »Es gibt da dieses vierzig Morgen große Stück Land, das dem Staat gehört. Und es ist wirklich schwer, dorthin zu kommen. Weil keine Straßen hinführen. Ich fahre manchmal mit dem Kanu hin. Es sieht dort mehr oder weniger noch so aus wie früher.« Sie schaut mich an, und Tränen treten ihr in die Augen. »Dort kommen die Tiere hin, um zu sterben.«
Ich schlucke.
»All die Tiere, die von der Erschließung in den Bergen vertrieben wurden … sie kommen hierher. Letztes Jahr im Spätherbst habe ich eine tote Bärin in der Nähe des Flusses gefunden. Sie hätte zu dem Zeitpunkt schon längst oben in den Bergen sein müssen. Ich sah mir ihr Rückgrat näher an, weil es so seltsam geformt war, und dann entdeckte ich, dass es vor langer Zeit von einem Pfeil durchbohrt worden war. Doch es war rundherum zugeheilt. Sie muss eine toughe Bärin gewesen sein.«
Ich schluckte, atmete tief durch, und wir nickten beide. Am liebsten
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