Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Wertschätzung.
Ich habe die Hände in den Schoß gelegt. Als ich merke, dass ich immer heftiger schaukle, nehme ich mich zurück und werde wieder langsamer. Mein Gott, ich habe mich selten so gelangweilt. Da sehe ich auf einmal meinen Laptop neben dem Kamin liegen, nur eine Armeslänge von mir entfernt. Und vielleicht angeregt von der Spielatmosphäre fällt mir eine Unterhaltung ein, die ich an diesem Tag mit einer meiner besten Freundinnen geführt habe. »Ich kann nicht glauben, dass du nicht auf Facebook bist! Das macht solchen Spaß. Dir bestimmt auch, wo du doch derart ab vom Schuss wohnst. Es ist toll, um sich zu vernetzen und macht absolut süchtig.«
»Ist das denn nicht eher was für Jugendliche auf der Highschool?«
»Aber nein. Du bist noch jung genug dafür. Du willst doch noch nicht zum alten Eisen gehören, oder?«
Zum alten Eisen? Sicher nicht. Ich bin hip. Ich bin angesagt. Ich bin beliebt. Oder etwa nicht?
Ich werfe noch einen Blick auf den Laptop, dann schnappe ich ihn mir. Click. Click, click, click , und schon denke ich mir ein Passwort aus. Ich entscheide mich für Football . Jetzt wollen wir doch mal sehen, was an diesem Theater um Facebook überhaupt dran ist.
Sie kennen Facebook doch, oder? Wahrscheinlich sind Sie auch viel präsenter am Puls der Zeit als ich hier im letzten Winkel von Montana. Für den Fall, dass Sie es doch nicht kennen sollen, dann erkläre ich es Ihnen rasch im Flüsterton – aber sagen Sie Ihren Kindern und Kollegen und vor allem Ihrem Ehemann nichts davon. Also, es handelt sich um eine Netzwerkseite im Internet, auf der man sich kostenlos registrieren kann, um Leute zu suchen, die man kennt, und falls die auch Mitglieder bei Facebook sind, können Sie um deren Freundschaft
»anfragen«. Falls diese Sie akzeptieren, haben Sie Zugang zu deren persönlicher Seite. Wenn nicht, dann können Sie sich zumindest deren Freunde ansehen, um nach weiteren Menschen zu suchen, die Sie vielleicht kennen oder kennenlernen möchten, und dann versuchen, zu diesen Kontakt aufzunehmen. Kurz gesagt, man hat Verbindung zu Leuten, mit denen man eigentlich nichts (mehr) zu tun haben würde. Und man verbringt eine Unmenge Zeit damit herauszufinden, ob der alte Freund, der einen in den Achtzigern fallengelassen hat, einen heute zumindest als Freund akzeptiert, damit man ihm die eigene Seite zeigen kann, die voll mit den besten Bildern von einem selbst, den wahnsinnig hübschen Kindern und dem irrsinnig coolen Leben in den Bergen ist. Außerdem kann man stolz darauf sein, wenn man als eigenen Status immer noch »verheiratet« angeben kann.
Innerhalb eines Abends auf Facebook lädt man ein Foto von jeder eindrucksvollen Aktivität der letzten Jahre hoch, an die man sich erinnern kann – Schlittenhundefahren, River Rafting (in der Bildunterschrift natürlich kein Wort davon, dass man dabei fast ertrunken wäre), Skifahren, Segeln, Schnorcheln, Wasserskifahren, Reiten, Bergsteigen. Strategisch sehr günstig ist es auch, die exotischsten Reiseziele zu präsentieren, auch wenn man auf den jeweiligen Bildern fast überall im Badeanzug zu sehen ist – was nicht unbedingt von Vorteil sein muss. Also sucht man nach einem, auf dem die Kinder im Vordergrund die eigenen Oberschenkel verdecken. Oder das im Wohnzimmer der italienischen Gastfamilie, wo ich mich unermesslich wohlfühlte, nachdem ich mich so lange unermesslich schlecht gefühlt hatte. Plötzlich merke ich, wie ausgehungert ich nach Gesellschaft bin. Und zum Teufel, ich habe ja Freunde an allen möglichen Orten – kein Wunder, nach diversen Umzügen von einer Küste zur anderen.
Also sucht man wie eine Blöde. Dabei stellt sich raus, dass eine Menge Leute, die man kennt, hier vertreten sind. Nur niemand, den man so richtig … richtig gut kennt. Was wohl bedeutet, dass ich die unreifste unter all meinen besten Freundinnen und Freunden bin. Oder vielleicht sind sie auch einfach zu beschäftigt für diesen Unfug. Oder … oder … vielleicht wissen sie auch gar nichts von Facebook. Sie sind schon alt und unmodern und abgestumpft. Ganz im Gegensatz zu Ihnen, Sie ewig Junge!
Anfangs zögert man noch. Warum sollte man wieder Kontakt zu diesem Typen aufnehmen wollen? Äh. War er das nicht, der bei einer Tanzveranstaltung an der Highschool versucht hat, dir seine Zunge in den Hals zu stecken? War sie nicht … doch eines der total gemeinen Mädchen?
»Touchdown! Jawoll!« Ehemann und Sohn vollführen einen kleinen Freudentanz auf der
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