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Ein Spiel um Macht und Liebe

Ein Spiel um Macht und Liebe

Titel: Ein Spiel um Macht und Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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zu begreifen, daß die elegische Melodie nicht nur in ihrem Geist erklang. Es war wie am ersten Abend auf Aberdare, aber diesmal wußte sie, woher die Musik kam. Nicholas war offenbar aufgewacht und spielte nun ein Klagelied für die Toten.
    Sie konnte das Alleinsein nicht mehr ertragen, stand auf, zog sich Schuhe an und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie hatte sich nicht ausgezogen, als sie sich zuvor niedergelegt hatte, und ihr Kleid war inzwischen vollkommen zerknittert. Rasch band sie ihr Haar zurück und trat hinaus in den Flur, um sich auf die Suche nach Nicholas zu machen. Es war sehr spät, und sie nahm an, daß der Rest des Haushalts längst tief schlief.
    Sie fand Nicholas in der wenig beleuchteten Bibliothek. Gebadet, rasiert und wie üblich in Schwarz und Weiß gekleidet, bot er einen fast normalen Anblick, wenn nicht das Blut gewesen wäre, das seine aufgeschürften Finger auf den Harfenseiten hinterließen. Er blickte auf, als sie hereinkam, seine Augen waren schwarz und undurchdringlich. Dann beugte er sich wieder über die Harfe, und obwohl die Worte walisisch waren, besang er seinen Kummer mit der ganz eigenen Tragik der Zigeuner.
    Wortlos ging sie durch das Zimmer und legte mehr Kohlen aufs Feuer. Dann setzte sie sich in den Sessel, legte den Kopf an die Lehne und ließ die Musik auf sich einwirken. Es tat ihr gut, mit ihm im gleichen Raum zu sein.
    Der letzte Akkord erfüllte die Luft, löste sich auf und verwehte. In dem folgenden Schweigen war das ferne Grollen eines Donners zu hören. Als wäre es ein Signal, begann Nicholas mit gepreßter Stimme zu sprechen. »Ich hätte mehr tun müssen. Du hast mir gesagt, wie gefährlich die Zustände in der Zeche sind, aber ich habe deine Warnung nicht ernst genug genommen. Für mich war die ganze Sache bloß ein weiterer netter Zeitvertreib.«
    Sie war überrascht. Selbstvorwürfe hatte sie nicht erwartet. »Du hast mit Lord Michael gesprochen und dein Bestes getan, um den Pachtvertrag zu lösen. Was hättest du denn noch ohne rechtliche Verfügung tun können?«

    »Mehr auf jeden Fall.« Er stellte die Harfe ab, stand auf und begann eine unruhige Wanderung durch das halbdunkle Zimmer. »Ich bin schuld an Owens Tod.«
    »Nein, gib dir nicht selbst die Schuld«, sagte sie sanft. »Jeder, der auf dieser Seite gearbeitet hat, ist umgekommen.«
    »Aber Owen hat dort nicht gearbeitet, er hatte mit mir etwas anderes vor. Er müßte noch am Leben sein.« Nicholas blieb am Fenster stehen, zog die Vorhänge zurück und öffnete es. Dann atmete er tief ein, als wollte er den Sturm in sich aufnehmen. »Wir waren schon wieder am Bychan-Schacht, um nach oben zurückzukehren, als die erste Explosion die Tunnel zum Einstürzen brachte. Der Korb konnte nur eine Person auf einmal hinaufziehen.«
    Seine Finger krampften sich um die Kante der Fensterbank. »Ich habe ihm gesagt, er solle zuerst gehen, er hätte schließlich Familie. Statt mit mir zu streiten, verpaßte er mir einen Kinnhaken und stieß mich in den Korb. Noch eine Minute, vielleicht zwei, dann wäre er gerettet gewesen, aber es war keine Zeit mehr. Keine Zeit mehr…« Als seine Stimme verklang, platschten die ersten Regentropfen gegen das Glas und sprühten ins Zimmer.
    Er wirbelte herum und in seiner Miene stand der gleiche Zorn wie damals, als er mit der Peitsche nach dem Porträt seiner Frau geschlagen hatte.
    Doch diesmal war es schlimmer, denn die Wut richtete sich gegen sich selbst. »Wenn mein Leben hundert Goldguineas wert war, dann war Owens nicht zu bezahlen«, brach es heftig aus ihm hervor. »Er konnte etwas mit seinen Händen schaffen, er konnte singen und lachen. Er liebte und wurde geliebt. Gottverdammt, warum er und nicht ich?«
    Ihre Nägel gruben sich in die Armlehnen. Sie konnte ihn nur allzu gut verstehen. Wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre, hätte sie dasselbe empfunden. Lieber tot sein, als auf Kosten eines Freundes zu leben. Irgendwie mußte sie seine Qual lindern. »Wenn er sich für dich geopfert hat, dann, weil du die Macht besitzt, etwas zu ändern.
    Durch dich können viele Leben gerettet werden.«
    »Das ist nicht genug!« In einem plötzlichen, schockierenden Wutausbruch packte er die Harfe und schleuderte sie quer durch das Zimmer. Das Instrument krachte mit einem grotesken Aufkreischen reißender Saiten an die Wand und fiel zerborsten zu Boden. Einen Moment zitterten mißklingende Töne in der Luft, dann zerriß ein Blitz die Dunkelheit und tauchte Nicholas und

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