Ein Spiel um Macht und Liebe
verstummen ließ.
Ani wies auf eine dünne Matte in einer Ecke des Wagens. »Schlaf hier«, sagte sie mit einem leichten Akzent.
Clare zog ihren nassen Mantel aus und kämpfte sich aus den Stiefeln. Dann legte sie sich in ihrem Nachthemd mit dem schlammverkrusteten Saum hin. Ani ließ eine Decke über sie fallen, und innerhalb von drei Minuten war Clare tief und fest eingeschlafen.
Es war schon spät am Morgen, als Clare erwachte.
Nicholas lag neben ihr, einen Arm um ihre Taille geschlungen. Auch er trug noch die Kleider, die er in der Nacht zuvor angezogen hatte. In seinem Schlaf sah er so jung und so ungemein attraktiv aus, daß sie ihn einfach küssen mußte.
Nicholas schlug die Augen auf. »Wie geht es dir?«
»Sehr gut, danke. Ein paar blaue Flecken, wo ich mit Bäumen zusammengestoßen bin, aber nichts Schwerwiegendes.« Sie unterdrückte ein Schaudern. »Du bist recht gut zu gebrauchen, wenn man in Gefahr gerät.«
Sein Gesicht wurde ernst. »Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte nie eine Gefahr für dich bestanden.«
»Das kann man nicht wissen.« Sie lächelte ihn unbeschwert an. »Außerdem war es ein herrliches Abenteuer. Wie viele Leute können wohl mit solchen Flitterwochen angeben?«
Auch wenn er darüber ein wenig lächelte, spürte sie eine schreckliche Trauer in ihm. Wie würde sie sich wohl fühlen, wenn eine ihrer besten Freundinnen -Marged zum Beispiel – versuchen würde, sie umzubringen? Der Gedanke versetzte ihr einen so heftigen Stich, daß sie ihn ganz schnell wieder von sich stieß. Wenn allein die Vorstellung schon so entsetzlich war, wieviel schlimmer mußte es dann für Nicholas sein, der so verzweifelt an Freundschaft glauben wollte?
»Wohin gehen wir jetzt?« fragte sie ihn, um seine Gedanken von dem peinigenden Thema
abzulenken.
»Die Kumpania war auf dem Weg nach Norden, aber sie würden auch kehrtmachen, um uns nach Aberdare zurückzubegleiten. Wir werden mit den Planwagen etwa drei Tage brauchen.«
Sie dachte an ihr Pony und seufzte. »Ich hoffe, derjenige, dem Rhonda in die Hände gefallen ist, wird sich gut um sie kümmern.«
»Wenn wir wieder zu Hause sind, schicke ich ein paar Männer hier herauf, die Nachforschungen anstellen sollen. Wenn jemand die Pferde verkauft, dann können wir sie uns vielleicht zurückholen. Möglich, daß wir auf diese Art und Weise auch die Männer entlarven können, die uns umbringen wollten.«
Sie nickte und stellte ihm die nächste Frage, die ihr durch den Kopf ging. »Gibt es etwas, das ich über das Leben bei den Roma wissen sollte?«
Er dachte einen Augenblick nach. »Versuch, dich an die Reinlichkeitsgebote zu halten. In einem Lager wird das Wasser an verschiedenen Stellen vom Fluß geholt. Das Wasser der obersten,
›saubersten‹ Stelle wird zum Trinken und Kochen verwendet. Wasch- und Badewasser wird weiter unten geholt. Wasch alles in fließendem Wasser, bevor du es ißt, und tu niemals dein Eßgeschirr oder Besteck in unreines Wasser, denn dann ist es marhime, verschmutzt, und man müßte es fortwerfen.« Er warf ihr einen leicht sarkastischen Blick zu. »Es wird dir nicht gefallen, aber auch Frauen werden als ›unrein‹ betrachtet. Streife niemals einen anderen Mann außer mir mit deinen Röcken, geh niemals vor einem Mann, zwischen zwei Männern oder vor den Pferden her.«
Sie runzelte die Stirn. »Du hast recht, das gefällt mir nicht.«
»Für Menschen, die auf engem Raum miteinander leben, hat es durchaus einen Sinn«, erklärte er.
»Es gibt den Frauen ein gewisses Maß an Privatsphäre und Schutz, was anders kaum zu erreichen wäre. Außerdem reduziert es sexuelle Spannungen. Auch wenn die Zigeunerfrauen den Ruf haben, sehr viel Erotik auszustrahlen, ist bei den Roma so etwas wie Ehebruch praktisch unbekannt.«
»Aha. Ich bemühe mich, niemanden zu beleidigen.«
Ani hatte offenbar ihre Stimmen gehört, denn sie spähte nun in den Wagen. »Frühstück. Geh du, Nikki, ich bringe Kleider für deine Frau.«
Er erhob sich gehorsam und kletterte aus dem Wagen, dann half er Ani hinein. Die Roma-Frau trug eine locker sitzende, tief ausgeschnittene Bluse und mehrere Röcke in prächtigen Farben.
Die Ohrringe, klingende Goldmünzen, paßten zu der hübschen Münzenkette, und ein gemustertes Kopftuch bedeckte ihr Haar.
Clare wurde ähnlich ausgestattet, wenn auch der Schmuck fehlte. Als sie an sich hinunterblickte und den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse betrachtete, konnte sie sich eine Bemerkung nicht
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