Ein Spiel um Macht und Liebe
Herzschlags zog sie in Erwägung, ihn weitermachen zu lassen, bis er die pulsierende Stelle zwischen ihren Beinen fand. Er würde die Sehnsucht stillen…
Dann kehrte ihr gesunder Menschenverstand zurück. »Genug!« Sie sprang von seinem Schoß auf und stolperte in ihrer Hast, von ihm fortzukommen.
Fast hätte sie aufgeschrien, als er ihr Handgelenk packte, bis sie begriff, daß er sie nur festhalten wollte, damit sie nicht zu Boden stürzte.
»Es ist zwar überhaupt nicht genug, aber morgen ist ja auch noch ein Tag.« Er ließ sie los. Auch seine Atmung war schneller als normal. »Gute Nacht, Clarissima.«
Sie starrte ihn mit aufgerissenen Augen an – wie ein Reh, das von einem Jäger in die Ecke gedrängt worden war. Dann packte sie, wie am Abend zuvor, einen Leuchter und hastete aus dem Zimmer.
Nicholas nahm seine Serviette vom Tisch und faltete sie gedankenverloren zusammen. Clare war anders als alle Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Ganz sicher nicht wie Caroline…
Das Porträt. Er hatte es ganz vergessen. Oder besser, er hatte die Existenz des Bildes einfach aus seinem Gedächtnis verdrängt. Es war verdammt gut getroffen, und der Schock, es zu sehen, war fast so groß gewesen, als wenn sie ihm persönlich gegenübergestanden hätte. Was für ein Narr er war! Hatte er ernsthaft geglaubt, er würde sie vergessen können, solange er in diesem Haus wohnte?
Als er feststellte, daß er die Serviette zu einer Schlinge gedreht hatte, warf er sie angewidert auf den Tisch. Es war doch viel besser, an Clare und ihre süße Weiblichkeit zu denken, als über der Vergangenheit zu brüten.
Als sie ihr kleines Spiel begonnen hatten, war er in der Lage gewesen, ganz sachlich in Betracht zu ziehen, daß er mit dem Versuch, sie zu verführen, durchaus scheitern konnte. Doch nun fand er diesen Ausgang nicht länger akzeptabel. Dies war ein Spiel, das er gewinnen würde. In der Zwischenzeit würde er der einen Leidenschaft frönen, die ihn immer schon am besten zerstreut hatte. Er stand auf und machte sich auf den Weg zum entlegensten Winkel des Hauses.
Als Clare in ihrem sicheren Schlafzimmer angekommen war, riß sie ein Fenster auf und atmete tief die kühle, feuchte Luft ein. Draußen fiel ein leichter Frühlingsregen vom Himmel, und das regelmäßige Tröpfeln beruhigte ihre Nerven ein wenig. Reumütig mußte sie sich eingestehen, daß momentan niemand in ihr die kühle, gefaßte Lehrerin erkennen würde, der die Leute in Penreith ihre Kinder anvertraut hatten.
Langsam kam sie zu dem Schluß, daß Nicholas wirklich der Teufel sein mußte; er besaß jedenfalls ein unglaubliches Talent, sie in Versuchung zu führen. Das ärgerliche war, daß sie mit all ihren Sinnen auf ihn reagierte. Sie mußte lernen, ihren Verstand zu gebrauchen, sich rational statt emotional zu verhalten. Dann würde sie ihm auch widerstehen können.
Es hörte sich so leicht an, wenn er nicht in der Nähe war.
Sie ließ das Fenster offenstehen, zog ihr Nachthemd an und glitt unter das Laken. Es dauerte eine Weile, bis ihre Spannung endlich nachließ, aber schließlich lullte das stete Rauschen des Regens sie ein.
Sie schwebte gerade in dem Zustand zwischen Wachsein und Schlummer, als ein Hauch von Musik wie Fragmente eines Traumes durch das Klopfen des Regens drang. Zuerst genoß sie es einfach.
Plötzlich jedoch ließ eine Erkenntnis sie schlagartig hellwach auffahren. Wie konnte mitten in der Nacht in einem fast leeren Haus Musik erklingen? Und dann solche Musik – zarte, fragile Töne, so flüchtig und schwer faßbar wie Feengesang.
Die Haare in ihrem Nacken richteten sich auf.
Hatte sie jemals etwas davon munkeln hören, daß es Geister auf Aberdare gab? Nun, nicht daß sie an Geister glaubte, das verstand sich ja von selbst.
Sie schlüpfte aus dem Bett, ging zum offenen Fenster und lauschte angestrengt in die Nacht hinaus. Zuerst hörte sie nur den Regen und das ferne Blöken eines Schafes. Dann erhaschte sie eine weitere unheimliche Klangfolge dieser Musik, die so durch und durch walisisch war wie die steinigen Hügel, die über das Tal wachten. Und obwohl sie durch die nächtliche Luft zu ihr drang, schienen die Laute aus dem Haus zu kommen.
Morgen früh würden viele der jüngeren Dienstboten in das Haus einziehen, doch heute schliefen nur sechs Leute unter diesem Dach.
Einen Augenblick fragte sie sich, ob Williams ein Musikant war, der mitten in der Nacht übte. Aber er war im Dorf aufgewachsen, und sie hätte
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