Ein Spiel um Macht und Liebe
Aussehen verliehen, während sie mit ihren Flecken auf dem Kleid bloß schäbig aussah. Das Leben war wirklich ungerecht. Warum hatte er nicht eine halbe Stunde später kommen können?
»Allerdings«, antwortete sie ihm. »Und Sie?«
»Ich habe den Ingenieur aufgetrieben, der die Förderbahnen in Merthyr Tydfil konstruiert hat, außerdem habe ich einen guten Platz für die Anlegestelle an der Küste gefunden. Ich erzähle Ihnen alles beim Essen.« Er schnupperte. »Hier riecht es aber köstlich. Haben Sie tatsächlich eine Köchin hier herauflocken können?«
»Ja, aber das ist noch nicht alles.« Sie bedeutete ihm, ihr in den Salon zu folgen, wobei sie versuchte, nicht so nervös auszusehen, wie sie sich fühlte.
Er trat ein, blieb dann wie angewurzelt stehen und stieß staunend einen leisen Pfiff aus. »Gütiger Gott, der Raum ist so hell und freundlich, daß es mir gar nicht wie auf Aberdare vorkommt. Wie haben Sie denn das alles in so kurzer Zeit geschafft?«
»Das war weniger mein Verdienst. Williams hatte die Ideen, und die Leute, die ich heute morgen engagiert habe, haben die Arbeit erledigt.« Sie mußte es nun ausgesprochen hören. »Gefällt das Ergebnis Ihnen?«
»Und wie.« Nicholas schenkte ihr ein umwerfendes Lächeln und begann, den Raum eingehend zu mustern. Er betastete eine Blüte in einer Vase voller Nelken. »Wo haben sie denn zu dieser Jahreszeit schon Blumen herbekommen?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht, sie stammen aus dem Gewächshaus von Aberdare. Der Gärtner hat in den letzten vier Jahren weiterhin Blumen und Gemüse gezüchtet, weil ihm niemand gesagt hat, er solle es lassen.«
Der Earl sah sie verdutzt an. »Der alte Iolo mit dem Holzbein?« Als Clare nickte, fuhr er fort: »Es ist ernüchternd, darüber nachzudenken, wieviel Macht ich selbst in der Zeit über dieses Anwesen besaß, in der ich noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet habe. Iolo, Williams und die anderen aus dem
Stammpersonal, die ihre Arbeit in diesen vier Jahren einfach weitergeführt haben – diese Art von Loyalität verdiene ich gar nicht.«
»Nein, das ist wahr«, stimmte Clare etwas bissig zu. »Aber wenn es Sie ein bißchen tröstet, dann lassen Sie sich gesagt sein, daß sich ihre Loyalität vermutlich eher auf ihre Löhne statt auf Ihre Person bezog. Außerdem glaube ich, daß lolo die nicht verwendeten Produkte aus dem
Gewächshaus auf dem Markt von Penreith verkauft hat, so daß er aus Ihrer Abwesenheit immerhin einen Nutzen gezogen hat.«
»Dennoch…« Nicholas’ Stimme verebbte, als sein Blick nun auf das Porträt Kenrick Davies’ fiel.
Nach einem langen Schweigen fragte er: »Mein Vater?«
»Das sagt zumindest die kleine Plakette im Rahmen. Das Bild stand auf dem Speicher. Sie haben es noch nie gesehen?«
»Nein, nie. Mein Großvater hat es wahrscheinlich nach oben schaffen lassen, als er meinen Vater enterbt hat.« Er sah sich das Bild aufmerksam an.
»Jetzt verstehe ich, warum meine Abstammung niemals in Frage gestellt wurde.«
»Erinnern Sie sich denn überhaupt nicht an Ihren Vater?«
»Ganz wenig. Er hat viel gelacht. Ich vermute, daß das Zigeunerleben ein abenteuerliches Spiel für ihn war. Es gefiel ihm sehr, aber ich denke, er wäre eines Tages in die Welt der Gadsche zurückgekehrt, wenn er nicht vorher an dem Fieber gestorben wäre.«
Er wandte sich um und begann, durch den Raum zu schlendern. »Es gefällt mir, wie Sie die Möbel gestellt haben, daß man sich zu kleinen Gruppen zusammensetzen kann. Es gibt dem Raum irgendwie mehr Gemütlichkeit, macht ihn intimer.«
Clare fühlte sich geschmeichelt; das war in der Tat ihre Idee gewesen. Sie bewegte sich an der Wand entlang, folgte ihm durch den Raum und ließ ihn nicht aus den Augen, um aus seinen Reaktionen zu schließen, was ihm am besten und was am wenigsten gefiel. Er ertastete sich die Neuerungen: leicht strich er mit der Handfläche über den Satinholztisch, drückte den Peitschengriff in die dicken Polster eines Sessels und bohrte seine Stiefelspitze in den prächtigen Perserteppich, den sie aufgerollt auf dem Dachboden gefunden hatten.
Schließlich wandte er sich zu ihr um, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, erstarrte dann aber.
»Wo zum Teufel kommt das denn her?«
Sein Zornesausbruch kam so unerwartet, daß Clare einen Augenblick wie gelähmt verharrte.
Dann fiel ihr ein, daß sie unter dem Porträt Lady Tregars stand. Sie schluckte und brachte dann hervor: »Vom Speicher.«
Nicholas holte
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