Ein Spiel um Macht und Liebe
kaufen? Obwohl es recht hübsch aussieht, wie das nasse Hemd an Ihrem Körper klebt. Tragen Sie eigentlich etwas darunter?«
Ihre Hände krampften sich um die Zügel, so daß das Pony seinen Schritt verlangsamte. Angewidert zwang sie sich, den Griff wieder zu lockern. Die arme Rhonda durfte wirklich nicht darunter leiden, daß es offenbar ihr Schicksal war, von Nicholas in Verlegenheit gebracht zu werden. »Ich konnte mich nicht dazu durchringen, trockene Kleider über nasse Unterwäsche zu ziehen.«
»Eine Entscheidung, die sowohl aus praktischen als auch ästhetischen Gründen sehr klug war. Nur scheint mir, als wären Sie schon halb erfroren.«
Er streifte sich seinen Rock ab und warf ihn ihr zu.
»Es geht zwar gegen meine Prinzipien, junge Frauen dazu zu ermutigen, mehr Stoff am Leib zu tragen, als unbedingt nötig, aber ziehen Sie das doch besser über.«
Sie versuchte, ihm den Rock zurückzugeben.
»Und dann erfrieren Sie.«
»Ich habe zu viele Nächte schon unter freiem Himmel geschlafen, als mich um Kälte zu kümmern.«
Sie gab also nach und hüllte sich in den Rock ein.
Der Stoff war noch von seinem Körper gewärmt und strömte einen schwachen, maskulinen Duft aus, den sie überall identifiziert hätte. Den Rock zu tragen, war, als hätte er seine Arme um sie geschlungen. Nur nicht so gefährlich.
Es würde interessant sein, London
kennenzulernen, aber dieser Besuch würde die merkwürdige Art von Nähe und Vertrautheit, die sich zwischen ihnen entwickelte, sicherlich aufheben. In London hatte er seine Freunde, vielleicht sogar Mätressen von früher, um sich die Zeit zu vertreiben. Er würde Clares Gegenwart kaum noch wahrnehmen. Und ihr Leben würde wieder leichter werden.
Sie fand, sie hätte sich über die Aussicht wirklich ein wenig mehr freuen sollen.
Der Rest des Tages verlief in jener angenehmen Routine, die sich bereits in den wenigen Tagen ihres Lebens auf Aberdare entwickelt hatte. Clare nahm ein ausgedehntes Bad und wusch sich den Dreck und den Geruch der Zeche von ihrem Körper und aus den Haaren. Danach besprach sie mit Williams die Maßnahmen zur Neugestaltung der Räumlichkeiten, obwohl sie von den Ereignissen des frühen Nachmittags noch recht angegriffen war. Die Dienstboten hatten sich heute darauf konzentriert, den Speisesaal zu reinigen und umzuräumen, und das Ergebnis war prachtvoll. Sie und Williams legten fest, in welchen Räumen in ihrer Abwesenheit gearbeitet werden sollte. Dann stellten sie Listen von Tapeten und Stoffen zusammen, die sie in London erwerben wollte.
Nach einem exzellenten Abendessen von Mrs.
Howell zogen sich Clare und Nicholas in die Bibliothek zurück. Dort beschäftigte er sich mit Korrespondenz und Kalkulationen – und dies mit einer Konzentration, die seinem Ruf, ein verschwenderischer Nichtsnutz zu sein, Lügen strafte.
Clare nutzte mit Vergnügen die Gelegenheit, die Bücherregale zu inspizieren, die Schätze enthielten, die über ihre kühnsten Träume hinausgingen. Wenn sie und Nicholas nach den drei Monaten noch freundschaftlich miteinander umgingen, dann würde er ihr vielleicht erlauben, gelegentlich ein paar Bücher auszuleihen.
Sie blickte auf und musterte sein Profil. Wie immer, wenn sie ihn ansah, empfand sie Verwunderung: Er sah einfach viel zu gut aus –
teils nach Zigeuner, teils aristokratisch –, und er war so unberechenbar wie intelligent. Er und sie waren so verschieden wie Katz und Maus, und es war einfach unmöglich, sich eine Zukunft vorzustellen, in der sie Freunde sein würden. Es war eher wahrscheinlich, daß dieses dreimonatige lächerliche Abkommen in eine Katastrophe münden würde, und dann wäre es gewiß nicht der Teufelsgraf, der zu leiden hatte.
Scharf rief sie sich in Erinnerung, daß niemand sie gezwungen hatte, nach Aberdare zu kommen. Sie wandte sich ab und widmete sich wieder den Büchern. Die Sammlung war gut sortiert und umfaßte Literatur in einem halben Dutzend Sprachen. Einige Bücher waren sogar in Walisisch.
Andere Abteilungen deckten Gebiete wie Geschichte, Geographie und Naturphilosophie ab, Clares Vater hatte sich manchmal theologische Schriften ausgeliehen. Obwohl der alte Earl es als seine Pflicht betrachtet hatte, in der anglikanischen Kirche zu bleiben, hatte er nonkonformistische Tendenzen gezeigt.
Wahrscheinlich war das der Grund gewesen, daß er einen Methodisten ausgesucht hatte, um seinen Enkel zu erziehen.
In der Mitte der Theologie-Abteilung stand eine gewaltige Bibel, die
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