Ein Spiel um Macht und Liebe
einen kostbaren, goldgeprägten Ledereinband besaß. In der Annahme, es handele sich um die Familienbibel der Davies’, zog Clare den Band aus dem Regal und legte ihn auf den Tisch. Gedankenverloren blätterte sie darin herum und las einige von ihren Lieblingsversen.
Vorne war ein Stammbaum eingezeichnet worden, und sie fand es ergreifend, die verschiedenen Handschriften und Tinten anzusehen, die sorgsam jede Geburt, jeden Todesfall und jede Heirat eingetragen hatten. Blasse Flecken, vielleicht Tränen, hatten ein Todesdatum verschmiert. Ein verblaßter, hundert Jahre alter Eintrag vermerkte die Geburt eines Gwilym Llewellyn Davies und an der Seite überschwenglich: »Endlich ein Sohn!«
Das Kind war Nicholas’ Urgroßvater.
Während sie die Einträge studierte, begriff sie, warum der alte Earl so um einen Erben besorgt gewesen war. Die Familie war niemals kinderreich gewesen, und Nicholas hatte keine direkten Verwandten, zumindest keine in der männlichen Linie. Wenn er an seinem Entschluß festhielt, nicht noch einmal zu heiraten, würde der Grafentitel wahrscheinlich mit ihm sterben.
Sie blätterte weiter, um sich die neuesten Einträge anzusehen. Die zwei Ehen des Earls, die Geburt seiner drei Söhne waren mit’ einer kräftigen Handschrift vermerkt, die seine eigene sein mußte. Obwohl alle drei Söhne geheiratet hatten, standen unter den Namen der beiden ältesten keine Einträge für Kinder.
Ihre Lippen preßten sich zusammen, als sie zu Kenricks Namen kam. Im Gegensatz zu den anderen Eintragungen, die alle mit Tinte gemacht worden waren, hatte man Kenricks Heirat mit
›Marta, Familienname unbekannt‹ und die Geburt von ›Nicholas Kenrick Davies‹ mit Bleistift geschrieben. Dies bewies einmal mehr, wie widerstrebend der alte Earl seinen Erben akzeptiert hatte. Sie mußte daran denken, wieviel Wärme Owen Huw entgegengebracht hatte, der nicht einmal von seinem Blut war. Ach, wenn der alte Earl seinem Enkel doch nur ein Zehntel dieser Liebe vermittelt hätte!
Traurig blätterte sie zur nächsten Seite. Mehrere gefaltete Papiere rutschten heraus. Sie warf einen kurzen Blick darauf, dann sah sie genauer hin und murmelte: »Wie seltsam.«
Sie hatte Nicholas nicht stören wollen, doch nun lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und streckte sich genüßlich. »Was ist seltsam, Clarissima?«
»Nichts Wichtiges.« Sie ging zu seinem Schreibtisch und legte die Dokumente unter das Licht der Öllampe. »Diese zwei Papiere sind notariell beglaubigte Kopien des Kirchenregisters, in das die Heirat Ihrer Eltern und Ihre Geburt eingetragen wurden. Beide Dokumente sind fleckig und abgewetzt, als seien sie zu lange in einer Tasche herumgetragen worden.«
Sie wies auf die anderen beiden. »Diese Dokumente sind ebenfalls Duplikate, obwohl sie ziemlich schlecht kopiert worden sind. Das Seltsame daran ist, daß sie keinen legalen Wert haben, weil sie nicht durch einen Notar beglaubigt wurden. Dennoch sind sie aber genauso gefaltet und verschmutzt wie die Originale. Ich denke mir, Ihr Großvater hat die Kopien von den Kopien machen lassen, aber ich sehe weder, wozu, noch warum sie so abgenutzt aussehen.«
Nicholas nahm eine der nicht beglaubigten Kopien. Einen Sekundenbruchteil später traten die Sehnen auf seinem Handrücken hervor, und die Luft um sie herum schien plötzlich vor Spannung zu knistern, als hätte ein Blitz eingeschlagen.
Clare blickte auf und entdeckte, daß er das Papier mit derselben zerstörerischen Wut anstarrte, die ihn beim Anblick des Porträts seiner Frau übermannt hatte. Und kurz danach hatte er das Bild zerfetzt! Ihr stockte der Atem. Was machte ihn nur so wütend?
Er griff nach dem zweiten Papier und zerknüllte die beiden Blätter mit unnötiger Heftigkeit. Dann stand er auf, ging steif durch den Raum und warf die Dokumente ins Feuer. Augenblicklich schossen die Flammen hoch.
Betroffen sah Clare ihn an. »Was ist denn los, Nicholas?«
Er starrte ins Feuer, wo die Papiere langsam zu Asche verbrannten. »Nichts, was Sie belasten müßte.«
»Die Gründe für Ihren Zorn vielleicht nicht, der Zorn selbst aber durchaus«, sagte sie ruhig.
»Sollte eine gute Mätresse ihren Geliebten nicht ermutigen, seine Sorgen auszusprechen?«
»Vielleicht darf eine Mätresse fragen, aber das bedeutet nicht, daß sie eine Antwort bekommt«, fuhr er sie an. Dann schien er seine Schroffheit zu bereuen, und er setzte hinzu: »Ihre gute Absichten werden gebührend gewürdigt.«
Nach einem längeren
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