Ein Spiel um Macht und Liebe
Kaminsims. Wenn sie ihr tugendhaftes Getue überwände, dann würde sie eine wunderbare Geliebte sein: sinnlich, intelligent, verständnisvoll. Ihr Drang, gute Taten zu vollbringen, wäre zwar gelegentlich etwas ermüdend, aber sie im Bett zu haben, wäre dieses kleine Opfer mehrfach wert.
Er zweifelte nicht daran, daß sie über die drei Monate hinaus bei ihm bleiben würde, wenn er sie wirklich dazu verführen könnte, seine Mätresse zu werden. Außerdem hätte sie dann auch keine Möglichkeit mehr, nach Penreith zurückzukehren und dort ein normales Leben zu führen. Also mußte er sie als erstes in sein Bett bekommen.
Langsam hatte er es verflucht satt, daß sie jedesmal wie ein Kaninchen im Bau verschwand, wenn ihr Gewissen sie einholte.
Kapitel 12
IN DIESER NACHT schlief Clare ausgesprochen schlecht. Es war leicht gewesen, ihre Verfehlung zu beschönigen, solange sie unter Nicholas’ Bann gestanden hatte. Ein Kuß war schließlich nur ein Kuß, eher ungezogen als sündig. Doch sie hatte sich durch Tegwens Augen gesehen und war nun gezwungen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Sie konnte nicht mehr leugnen, daß sie schwach war, daß sie sich schändlich nach lustvoller Berührung sehnte.
Während sie schlaflos im Dunkeln lag, hörte sie den lokenden Klang von Nicholas’ Harfe. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte sie sich, diesem Sirenengesang zu folgen, ihren Kummer in seinen Armen zu vergessen. Aber natürlich würde das alles nur noch viel schlimmer machen.
Mit schweren Lidern und noch schwererem Herzen stand sie am nächsten Morgen auf. Der Gedanke, zur Kirche zu gehen, brachte ihre Hände zum Zittern, aber sie konnte nicht einfach fernbleiben.
Sie hatte noch nie einen Sonntagsgottesdienst versäumt, und wenn sie es jetzt tat, käme es einem Eingeständnis ihrer Schuld gleich.
Als sie ihr strenges, graues Sonntagskleid anzog, fragte sie sich, ob Tegwen in der Kirche sein würde. Und wenn ja, würde das Mädchen erzählen, was sie gesehen hatte? Düster erkannte sie, daß die Frage nicht ›ob‹ sondern ›wann‹
lauten mußte. Tegwen würde es sicher kaum erwarten können, die skandalösen Neuigkeiten zu verbreiten. Das Mädchen liebte es, im Mittelpunkt zu stehen, und die Geschichte vom Teufelsgrafen, der die Lehrerin küßte, war doch zu gepfeffert, um ihr widerstehen zu können. Wenn die Sache noch nicht umging, dann würde es nicht mehr lange dauern.
Auf dem Weg nach Penreith las Clare die neue Köchin, Mrs. Howell, auf, die ebenfalls zur Kirche wollte. Mrs. Howell war erfreut über die Mitfahrgelegenheit und konnte die ganze Fahrt nicht aufhören, Clare dafür zu danken, daß sie ihr die Stelle auf Aberdare verschafft hatte. Offenbar hatte sie noch nichts gehört, das Clares Unbescholtenheit in Frage stellte.
Sie kamen an, als die Leute bereits ihre Plätze einnahmen. Normalerweise hätte Clare die vertrauten Bänke, die weißgetünchten Wände und die glänzenden Holzbohlen auf dem Boden als tröstend empfunden. Heute jedoch ertappte sie sich dabei, wie sie sich umsah, ob irgendeiner der Gläubigen sie seltsam musterte.
Nach einem raschen Blick über die Gemeinde wußte sie, daß Tegwen nicht anwesend war. Als Clare auf ihren üblichen Platz neben Marged huschte, lächelte ihre Freundin ihr zu und machte eine Kopfbewegung zu Huw, der zwischen Owen und Trevor, Margeds ältestem Sohn, saß. Huws schmales Gesicht leuchtete vor Glück, und sein kleiner Körper war in warme, derbe Kleider gehüllt, aus denen einer seiner neuen Brüder herausgewachsen war. Zum ersten Mal in seinem kurzen Leben besaß Huw ein echtes Zuhause.
Wenn Clare darüber nachdachte, was der Junge in der Zeche und in den Händen seines brutalen Vaters hatte durchmachen müssen, erschienen ihr die eigenen Problem bedeutungslos.
Der Geistliche auf der Kanzel nannte eine Hymne, und Gesang erscholl. Musik ist ein elementarer Bestandteil des Methodistengottesdienstes, und das Singen brachte Clare Gott näher, als ein Gebet es je gekonnt hatte. Schon nach den ersten Noten löste sich ihre Spannung ein wenig.
Ihr Seelenfrieden dauerte nur so lange an, bis ein Nachzügler eintraf und sich in den hinteren Bänken niederließ. In dem leisen Flüstern, das einsetzte, hörte Clare plötzlich ihren Namen fallen. Mit einem Gefühl der Übelkeit schloß sie die Augen und wappnete sich gegen das, was kommen würde.
Die Zion-Kapelle hatte keinen eigenen Priester, so daß der Gottesdienst von Gemeindemitgliedern und
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