Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. »Alle können uns sehen!«
»Das ist der direkteste Weg«, entgegnete er und warf ihr über die Schulter einen Blick zu. Mit einer Hand hatte sie ihre Röcke ein paar Zentimeter hochgerafft, mit der anderen klammerte sie sich an ihm fest.
Nachdem sie den Ballsaal verlassen hatten (und nicht wenige Köpfe sich nach ihnen umgedreht hatten), bahnte Marcus sich den Weg in den vorderen Teil des Hauses, wo er neben einer großen Statue – natürlich stellte sie ein Pferd dar, und zwar ein sich aufbäumendes – einen Platz fand, an dem sie sich halbwegs ungestört unterhalten konnten.
»Nun«, Marcus wandte sich ihr zu, »Sie haben Sterling beobachtet.«
»Und einen Fremden«, ergänzte sie atemlos.
»Einen Fremden? An der Rennstrecke?«
»Nein, während des Rennens bei den Ställen. Der Fremde … er war gekleidet wie ein Farmer, aber ich glaube nicht, dass er auch tatsächlich einer war. Denn warum sollte Sterling sich mit einem Farmer treffen?« Und dann sprudelte die Geschichte, die sich in ihr aufgestaut hatte, aus ihr heraus. »Und sein Akzent … ich habe ihn mit einem englischen Akzent sprechen hören, aber Sie hatten ja erwähnt, dass Laurent den Akzent auch nachahmen kann … die beiden waren allein, verstehen Sie. Die Stallburschen waren offenbar verschwunden, um sich das Hauptrennen anzuschauen, es waren nur Bitsy und ich und Letty im Stall. Und dann waren die beiden auch da, und ich musste mich verstecken, und mein Kleid von Madame Le Trois ist völlig verdreckt und völlig ruiniert, und mir ist klar, dass sie mir nie wieder ein neues Kleid schneidern wird … «
An dieser Stelle beschloss Marcus, dass Phillippa jetzt zu reden aufhören sollte, ganz gleich, was sie ihm noch zu sagen hatte.
Schnell trat Marcus zu Phillippa und legte eine Hand um ihre Hüfte und die andere sanft auf ihren Mund.
Ihre großen blauen Augen suchten seine. Fragend. Er erwiderte ihren Blick … gelassen und, wie er hoffte, auch beruhigend. »Atmen Sie tief durch«, befahl er ihr, und sie gehorchte. Ihre Lippen drückten sich an seine Handfläche. »Und jetzt atmen Sie wieder aus«, befahl er weiter. Warmer Atem berührte seine Hand.
»So ist es gut«, sagte er und zog seine Hand fort. »Und jetzt noch einmal. Die beiden waren also an den Ställen?«
Sie nickte.
»Während des Rennens?«
»Ja. Und die Ställe waren leer«, berichtete Phillippa nüchtern und sachlich.
»Sind Sie sich sicher, dass es Sterling war?«
»Ja, selbstverständlich! Er hat einen Umhang aus grauem Zwirn getragen und gelbbraune Hosen und einen Zylinder, der für seine Größe ein paar Zentimeter zu groß ist … «
»Das reicht«, unterbrach Marcus, bevor sie sich wieder von ihrer Schilderung mitreißen ließ. Wieder atmete er tief durch, was sie als Wink begriff und ebenfalls tief Luft holte. »Können Sie den Fremden beschreiben?«, fragte Marcus und bemühte sich, jede Anspannung aus seiner Stimme fernzuhalten.
»Er … er hatte dünnes Haar. Eine schmale Gestalt. Sein Gesicht konnte ich nicht besonders gut erkennen«, sagte sie nachdenklich. »Er war gekleidet wie ein Farmer aus der Gegend. Mit Strohhut. Und auf dem Rücken trug er einen Tornister. Oh, Marcus! Der Tornister!«
Sie verstärkte den Griff um seine Hand und riss die Augen weit auf. »Sie haben mich zwar gehört, aber nicht gesehen. Ich habe mich versteckt, und dann habe ich sie fortgehen sehen, und der Tornister … den hatte er nicht mehr, als er fortging!«
Die großen Ställe, natürlich … Falls der Tornister absichtlich zurückgelassen worden war, konnte er …
»Wann beginnt das Feuerwerk?«, fragte er plötzlich.
»Wahrscheinlich um Mitternacht … in einer Stunde«, erwiderte sie erstaunt.
»Phillippa«, er zog sie an sich und packte sie an den Schultern. »Ich gehe jetzt zu den Ställen. Sie bleiben hier und sagen Byrne, wohin ich gegangen bin. Und Sie behalten Sterling im Auge.«
»Was?«, rief sie, »nein, auf keinen Fall, ich komme mit Ihnen!«
»Phillippa, es könnte gefährlich werden«, wehrte er ab und rieb mit dem Daumen über die feine Seide ihres Kleides.
»Marcus, das weiß ich. Und glauben Sie mir, auch ich möchte nicht geradewegs der größten Gefahr in die Arme laufen. Aber die Hauptställe … sie sind gewaltig. Ohne mich werden Sie den Tornister niemals finden. Zumal im Dunkeln.«
Er strich zärtlich über den Nacken, über ihr Kinn. »Das Risiko nehme ich in Kauf.« Damit wandte er sich ab und ging
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