Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
davon.
Natürlich gehörte Phillippa Benning nicht zu den Leuten, die man lange allein lassen konnte. Als er durch die Vordertür des Anwesens ins Freie treten wollte, hatte sie ihn bereits eingeholt, wie er an dem festen Griff um sein Handgelenk bemerkte.
»Pech gehabt, Mr. Worth«, sagte sie, »so leicht werden Sie mich nicht los.«
Marcus war klar, dass er zwei Möglichkeiten hatte. Er könnte sie in den Ballsaal zurückbringen und Totty oder Broughton zwingen, sich um sie zu kümmern. Oder er könnte sie in ihrem Zimmer einschließen. Aber um die Wahrheit zu sagen, ihm fehlte die Zeit für die erste Möglichkeit, und was die zweite betraf, so hegte er den starken Verdacht, dass er, sofern er ihr Zimmer überhaupt erreichen würde, sich selbst gleich mit einschließen musste. Und da er auch wusste, dass er über diese Möglichkeiten hinaus keine Wahl hatte, tat Marcus das Einzige, was ihm übrig blieb.
Er betete.
»Gott schütze mich vor aufdringlichen Frauenzimmern«, sagte er, verdrehte die Augen gen Himmel und machte sich auf den Weg zu den Hauptställen. Phillippa hielt mit ihm Schritt.
Der gewundene Weg vom Anwesen bis zu den Hauptställen war etwa anderthalb Kilometer lang. Am schnellsten schaffte man es hinten am Haus entlang, vorbei an den Gärten mit den Wasserspielen und jenseits der knapp vier Meter hohen Hecke des Irrgartens, den es schon seit der Zeit der Stuarts gab. Als Ausgleich zur erdrückenden Hitze im Ballsaal hatten mehrere Paare im Park Abkühlung in der frischen Nachtluft gesucht, und weil Lady Hampshire eine erfahrene und gute Gastgeberin war, hatte sie die Gärten mit Fackeln und Lampen bestücken lassen, die jetzt hell leuchteten. Das erweckte den Eindruck der Anständigkeit, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass über manche Winkel noch dunklere Schatten geworfen wurden als zuvor.
Marcus und Phillippa hielten sich am Rand der Gärten, mieden das Licht und gingen den anderen Paaren so gut wie möglich aus dem Weg. Sie mieden den Irrgarten mit seinen verliebten Besuchern, indem sie über die Wiesen gingen. Von Zeit zu Zeit machte Marcus auf die Hinterlassenschaften von Tieren aufmerksam, damit Phillippa ihre Schritte sorgfältig setzen konnte.
»Nur noch über die Anhöhe und dann nach rechts.« Phillippas Stimme klang so gedämpft wie der Lärm des Festtreibens, der noch schwach in der Ferne zu hören war.
Marcus folgte Phillippas Anweisungen und half ihr über den Zaun auf der kleinen Anhöhe, von wo aus man auf die Stallanlage der Hampshires blickte.
Phillippa hat recht, sie sind gewaltig, dachte Marcus und drückte ihre Hand, als sie sich auf den Weg zu den Gebäuden machte.
»In den Ställen sind Lord Hampshires beste Pferde untergebracht«, sagte Phillippa, als habe sie seine Gedanken gelesen. »Das heißt, wenn sie gerade kein Rennen laufen und keinem Regiment zugeteilt sind. Der Platz reicht für mehr als hundert Tiere.«
Als sie sich dem Gebäude näherten, lenkte sie seine Aufmerksamkeit auf die Wasserfässer, die vor dem Gebäude aufgereiht standen. »Dahinter habe ich mich versteckt, als sie nach mir gesucht haben.«
Marcus betrachtete die Fässer und den geringen Abstand zwischen ihnen und dem Gebäude.
»In diese Lücke haben Sie sich gequetscht?«, fragte er ungläubig.
Sie streckte sich, als wäre sie beleidigt. »Ich bin recht schlank, müssen Sie wissen. Ich kann mich in so manche Lücke quetschen.«
»Ja«, lächelte er, »beispielsweise in einen Sarkophag.«
Sie boxte ihn sanft in die Schulter, lächelte aber. Er grinste sie an … und vergaß einen Moment lang, weshalb er sich überhaupt hier aufhielt.
Verdammt, dachte er, schüttelte die Empfindung ab und eilte lautlos um das Gebäude herum zur Haupttür. Jedes Mal, wenn Philippa Benning ihn anlächelte, verlor er die Konzentration. Das durfte nicht passieren. Schon gar nicht jetzt.
Die Stalltür war nicht verschlossen. Trotzdem war es ein Risiko, sie aufzustoßen, denn die Angeln quietschen bei jedem Zentimeter. Kaum hatte Marcus sie weit genug geöffnet, schob er sich durch den Spalt. Phillippa folgte ihm. Nach einer stummen Verständigung ließen sie die Tür offen stehen, um sich den Rückzug zu erleichtern und zu verhindern, dass es nochmals quietschte.
An den Längsseiten des Stalles reihten sich die Boxen aneinander, in denen die edelsten Pferde standen, die England zu bieten hatte. Weder aus der Sattelkammer noch aus den Schlafkojen der Stalljungen unter der Decke drang ein Lichtschimmer.
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