Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
»Sterling war unsere einzige Spur. Wie sollen wir sie jetzt finden?« Er fing an, auf und ab zu gehen. »Byrne, wie soll ich sie nur finden? Laurent wird keine Gnade walten lassen. Er wird Phillippa wehtun. Bevor er sie tötet, wird er … «
Marcus blieb nicht die Zeit, vollständig in seine düstere Gedankenwelt einzutauchen, denn Byrne tauchte neben ihm auf und versetzte ihm den dringend benötigten Schlag gegen die Schläfe, was ihn auf die Knie stürzen ließ.
»Tief durchatmen, kleiner Bruder«, sagte Byrne, während Marcus langsam aufhörte, die Sterne vor seinen Augen zu zählen. »Du musst nachdenken. Das kannst du doch gut. Und du hattest recht mit Sterling. Nur dass er offenbar nicht der Einzige war. Wer könnte es sonst noch sein?«
Aber Marcus achtete nicht auf die Worte seines Bruders, sondern konzentrierte sich auf das matte metallische Glitzern unter dem Gebüsch. Er griff danach – nach einem stumpfen, gebrauchten Taschenmesser.
»Marcus!« Byrnes Stimme drang in seine Gedanken. »Was glaubst du? Crawley? Oder jemand anders aus dem Kriegsamt?«
»Ja«, antwortete Marcus und drehte das Messer in der Hand hin und her. »Und vermutlich weiß ich auch, wer dieser Jemand ist.«
Phillippa litt unter dem schlimmsten Kater ihres Lebens. Zumindest vermutete sie, dass es ein Kater sein müsse; sie empfand das gleiche dumpfe Pochen im Nacken, den gleichen verschwommenen Blick. Es war, als hätte sie den Mund voller Watte, und zu allem Überfluss schmerzten auch noch ihre Muskeln. Aber schon bald bemerkte sie, dass ihre Muskeln nur deshalb schmerzten, weil ihr die Handgelenke gefesselt waren, die Fußgelenke und auch ihre Körpermitte. Bei der Watte im Mund handelte es sich in Wahrheit um einen Knebel. Und dass ihr Blick so düster und verschwommen war, musste an irgendeinem Sack oder etwas Ähnlichem liegen, das ihr über den Kopf gestülpt worden war.
Bestimmt war ihre Frisur völlig durcheinander. Aber das sollte jetzt ihre geringste Sorge sein, denn plötzlich flutete ihr die Erinnerung an das, was sie gesehen hatte und wovor sie geflüchtet war, wieder durch den Kopf.
Sie begann, an ihren Fesseln zu zerren. Nutzlos. Sie war an einen unbequem tiefen Stuhl gebunden, die Arme fest an dessen hölzerne Lehnen gezurrt, die Füße zusammengebunden und an ein Stuhlbein gefesselt. Mehr als Finger und Zehen konnte sie nicht rühren.
Ihre Bewegungen erregten Aufmerksamkeit. Sie erstarrte, als sie Schritte hörte und dann den Atem ihres Verfolgers an der Wange spürte.
Mit einem groben Ruck wurde ihr der Sack vom Kopf gerissen. Phillippa blinzelte ihren Peiniger an.
» Bonsoir «, grüßte der Franzose und grinste wie ein Raubtier im Dschungel, das mit seiner Beute ein wenig spielen wollte. »Sie sind wach. Bon .«
Es schien eine gute Idee zu sein, zu schreien wie am Spieß. Unglücklicherweise steckte ihr der Knebel fest im Mund und erstickte jedes Geräusch, das ihr aus der Kehle drang. Mehr als ein heiseres Krächzen brachte sie nicht zustande.
»Ah, ah, ah, ah«, sagte er, »ich befürchte, der Knebel muss dort bleiben, wo er ist. Ich habe Nachbarn, verstehen Sie doch. Es wäre très unhöflich, die Leute zu stören.«
Zum ersten Mal gestattete Phillippa sich einen Blick durch das Zimmer. Es war nur sparsam, aber in guter Qualität eingerichtet, mit Zierleisten und neuer Tapete. Auf beinahe jeder Oberfläche brannten Kerzen, aber die Vorhänge waren zugezogen, sodass kein Licht entfliehen konnte. Das Mobiliar erkannte sie als französisch – ein Sofa im Stil Louis Quinze, ein Beistelltisch mit einer Einlegearbeit im Stil der Zeit des Sonnenkönigs. Aber noch mehr interessierte Phillippa sich für die Wand, auf die sie blickte. Dutzende und Aberdutzende Landkarten und Zeichnungen waren an diese Wand geheftet: verschiedene Gegenden Londons, die Straßen von Brighton, der Laderaum eines Schiffes. Und all diese Pläne hingen direkt vor ihrer Nase.
Sie betrachtete die Wand, während sich seine geschmeidige Gestalt gegen den Stuhl lehnte, in Phillippas Umkreis eindrang und sie zwang, sich so weit zurückzulehnen wie nur möglich – was nicht besonders weit war. Er schob ihr eine Haarlocke aus der Stirn. »Wie zauberhaft Sie sind. Aber wenn ich mich erst mal vorstellen dürfte? Schließlich werden wir noch viel Zeit miteinander verbringen.«
Er umrundete den Stuhl, stellte sich vor sie hin und vollführte einen perfekten französischen Hofknicks. » Je m’appelle le Comte de Laurent aux Villeurs. Oder
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