Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
die Knie.
Leslie nickte und schielte auf Byrnes Pistole. »Das Ding könnte losgehen, wenn Sie verstehen, was ich sagen will … diese Kutsche ist nicht besonders gut gefedert«, wimmerte er.
Byrne verharrte schweigend; seine Hand war beängstigend ruhig.
»Ich fürchte, das Risiko müssen Sie auf sich nehmen«, antwortete Marcus an Byrnes Stelle.
Leslie sah Marcus nachdenklich an. »Vor einiger Zeit habe ich mal überlegt, ob ich Sie frage, ob Sie sich uns nicht anschließen wollen.«
»Mich? Warum?«
»Es ist seltsam«, er lächelte, »aber als der Krieg zu Ende war, haben Sie verzweifelt nach einer neuen gefährlichen Herausforderung gesucht. Und sei es auch nur irgendeine kleine Sache, in der Sie ermitteln können. Sie waren beinahe so gelangweilt wie ich«, sinnierte er. »Es ist nicht einfach, ziellos umherzuirren, nicht wahr?«
Beinahe wäre Marcus quer durch die Kutsche gesprungen, um Leslie an die Gurgel zu gehen, doch er hielt sich zurück. »Gelangweilt? Sie waren gelangweilt ? Und dann, als Sterling zu Ihnen gekommen ist, haben Sie … «
Aber Leslie lachte nur. »Sie glauben, dass Lord Sterling zu mir gekommen ist? Ohne mich wäre Sterling noch nicht mal in der Lage, sich die Schuhe zu binden.« In seinen Augen glitzerte die schwarze Wut, als er sich nach vorn lehnte. »Ich habe Sterling reingeholt … habe seine ›bessere‹ Herkunft und seine Beziehungen benutzt, um an den wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen zu können. Er brauchte auch Geld. Sieht so aus, als würde jemand ihn erpressen. Wegen seiner Beziehung zu Crawley.« Leslie grinste boshaft.
»Aber Laurent … in dem Mann steckt mehr, als ihr beide verkraften könnt«, sagte Byrne eisig.
Leslie schwieg.
Die Kutsche bog um die Ecke in die Weymouth Street.
»Nun, was hattet ihr heute Abend vor? Auf dem Ball ein Wirrwarr anrichten, sodass der Prinz in die Sache hineingezogen wird?«, fragte Marcus, schob die Kutschenvorhänge zur Seite und hielt Ausschau nach der Hausnummer, die Leslie genannt hatte.
»Anfangs ja. Aber dann wurde beschlossen, dass unbedingt durchgegriffen werden muss.« Leslies kaltes Lächeln schien einen Frostschauder durch die Kutsche zu jagen, während sie rumpelnd zum Stillstand kamen. »Hier ist es«, sagte er und ließ den Blick über das dunkle Gebäude schweifen. »Er wird Sie beide töten.«
Byrne ließ die freie Hand vorschnellen und umfasste Leslies Kehle mit einem schraubstockartigen Griff. Leslie zerrte an Byrnes Hand, allerdings vergeblich. »Du bist nie auf einem Schlachtfeld gewesen, nicht wahr? Nun, zerbrich dir darüber nicht den Kopf, wenn die Kugeln fliegen, sorgen wir dafür, dass du mittendrin stehst.«
Byrne ließ Leslie los; Leslie keuchte und rang nach Luft.
Marcus musterte seinen Bruder, bemerkte dessen kalte, stählerne Entschlossenheit. Innerlich war Byrne zurück auf jenen Schlachtfeldern und hatte nichts anderes im Sinn, als den Feind zur Strecke zu bringen. Er war wieder in der kleinen Stadt am Meer, stand seinem Feind ein letztes Mal gegenüber.
»Gehen wir«, stieß er brüsk aus und öffnete den Kutschenschlag.
Die Uhr tickte, eine qualvolle Sekunde nach der anderen verstrich. Mehr als einmal warf Laurent einen prüfenden Blick auf seine Taschenuhr, um sicherzustellen, dass die beiden Uhren übereinstimmten. Phillippa wünschte, sich an der Nase kratzen zu können. Sie wünschte, aufstehen und sich recken zu können. Sie musste alles im Gedächtnis behalten, was sie sah, musste sich auf das konzentrieren, was sie zu tun hatte. Sie hatte ihren Stuhl so gut wie möglich zurechtgerückt, hatte die Tatsache, dass Laurent anderweitig beschäftigt war, genutzt, um näher zur Anrichte zu rücken. Gerade wollte sie wieder ein Stück weiterrutschen, als Laurent plötzlich aufstand und zum Fenster ging. Er schob den Vorhang ein Stück zur Seite und spähte in die Dunkelheit. Nach einem Moment runzelte er die Stirn und ließ den Vorhang wieder zurückfallen.
»Halten Sie Ausschau nach jemandem?«
Laurent fuhr herum, zog gleichzeitig die Pistole hinter seinem Rücken hervor und zielte direkt auf Phillippas Schläfe. Noch während seiner Drehung entdeckte er Marcus. Neben ihm stand ein Fremder, den Phillippa als den Mann erkannte, dem sie auf dem Fest gefolgt war. Marcus hielt ihm ein Messer in den Nacken. Das Gesicht des Mannes war geschwollen, besonders um die Augen und auch, wie Phillippa zufrieden feststellte, um den Hals.
Marcus’ Hände waren zwar blutverschmiert,
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