Ein Stern fliegt vorbei
entstand daraus eine weitere Frage: Wie sollte eine solche Menge von Energieträgern, vor allem von spaltbarem Material, zusätzlich zu allen anderen Materialien zum Feld transportiert werden? Nicht einmal mit der zehnfach größeren Kapazität, wie sie dank Nadjas damaliger Beharrlichkeit nun zur Verfügung stehen würde, wäre das möglich.
Es gab nur eine Lösung: Energieträger, zum Beispiel Uran, mußten wenigstens teilweise aus dem Feld selbst bezogen werden. Es handelte sich doch um Planetoiden, warum sollte es dort nicht Uran geben.
Doch auch wenn man voraussetzte, daß sich solche Vorkommen würden finden lassen, zöge diese Umstellung einen ganzen Rattenschwanz von Veränderungen nach sich. Die vorgesehene Kampfflotte mußte vervielfacht werden. Aber das genügte nicht: Ihre genaue Struktur konnte erst festgelegt werden, wenn man Genaueres über die im Feld vorhandenen Energieträger wußte. Es mußte also sofort eine zweite Expedition ausgerüstet werden, ein Vorkommando der großen Flotte gewissermaßen, die die notwendigen Angaben ermittelte. So wurden nun auch alle Detailpläne umgestoßen, und das ganze Netzwerk der aufeinander abgestimmten Arbeiten mußte neu geknüpft werden.
Der Start des Vorkommandos wurde für das nächste Jahr, das Jahr 87, geplant. Sieben Schiffe der inzwischen fortgesetzten und verbesserten Stella-Serie sollten unter dem Kommando von Kapitän Schtscherbin starten – je eins für jeden Planetoiden, ein weiteres zur Untersuchung der mittleren Bruchstücke und schließlich die SIRIUS unter Henner Hellrath für die Sonderaufgaben: erstens das mathematische Modell des Feldes weiter zu vervollkommnen und zu verfeinern und zweitens an der Strukturierung der großen Flotte zu arbeiten, das eine unter Yvonnes, das andere unter Lutz’ Leitung. Nebenbei sollte die SIRIUS auch noch die kleinen Bruchstücke bis zu Kubikmetergröße untersuchen.
Kaum waren diese Beschlüsse gefaßt, trat ein weiteres schwerwiegendes Ereignis ein – schwerwiegend nicht sosehr für den objektiven Ablauf der Dinge, als vielmehr für das Gefühl der Menschen, für die Einstellung, mit der sie an die große Aufgabe gingen.
In dieses Jahr 86 fiel nämlich auch der Zeitpunkt, an dem eine Antwort von der Proxima Centauri auf die Botschaft des Senders Terra kommen konnte.
Exakt zu dem Zeitpunkt, an dem die Antwort frühestens zu erwarten gewesen wäre, hörten die bis dahin immer noch täglich zu empfangenden Sendungen von der Proxima auf, was wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit als Bestätigung dafür gedeutet werden konnte, daß die Botschaft der Erde angekommen war. Aber dann blieb es still. Die Erde wartete – aber eine Antwort kam nicht. Das war überraschend, mehr noch, das war rätselhaft. Wollten die Absender einen engeren Kontakt mit der Erde vermeiden? Aber warum in aller Welt, nachdem sie die Erde erst gewarnt hatten? Die Absender, die neun Jahre lang täglich gesendet hatten – und wer weiß, wie lange schon vorher –, mußten doch ohne Schwierigkeiten wenigstens eine weitere Sendung mit einer Antwort ausstrahlen können. Ins Irdische übersetzt hieß das: Du hast Kenntnis genommen, das reicht mir. Ich habe meine Pflicht getan, und alles Weitere ist deine Sache. Aber eine solche Gleichgültigkeit widersprach nicht nur jedem sittlichen Gefühl, sondern auch dem unerhörten technischen Aufwand, mit dem die Warnung ins Werk gesetzt worden war.
Was half es – alles Herumraten änderte nichts an den Tatsachen. Man mußte diese Frage als nicht zu beantworten ins Archiv legen. Und was jetzt wichtiger war: Die Erde war bei der Bekämpfung der Gefahr ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Freilich hatte man alle Vorhaben sowieso unter dieser Voraussetzung geplant – aber wer weiß, vielleicht hatten sich doch noch viele der stillen Hoffnung hingegeben, eine außerirdische Macht würde helfend eingreifen?
Diese Hoffnung mußte begraben werden, und auch das erhöhte die Verantwortung des Vorkommandos, das im November 87 startbereit bei der STARTSTUFE II lag.
Zum Abschiedszeremoniell versammelten sich die etwa 200 Kosmonauten im Festsaal der STARTSTUFE II, der, wenn auch der Ausdruck „Saal“ vielleicht etwas übertrieb, doch so groß war, daß man die Rundung des Ringkörpers schon bemerkte.
Es hieß Abschied nehmen von Eltern und Kindern, von Freunden und Bekannten, von der gewohnten Umgebung und von den Landschaften, Tieren und Pflanzen, die man liebte – von der Erde, vom
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