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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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irdischen Sternhimmel, von Mond und Sonne. Und das für acht Jahre – denn dieses Vorkommando würde beim Feld bleiben und, wenn die große Flotte nachgekommen sein würde, mit ihr verschmelzen.
    Yvonne und Lutz hatten die kleine Kathleen, die nun auch schon sieben Jahre alt war, bereits im Vorjahr zu den Großeltern nach Paris gegeben, damit sie Zeit hatte, sich umzugewöhnen. Sie hatten übrigens diesen Plan schon vor langer Zeit gefaßt, damals, bei ihrem Besuch in Paris, und hatten deshalb mit der Kleinen immer nur französisch gesprochen, so daß sie als Muttersprache tatsächlich die Sprache ihrer Mutter gelernt hatte. Sie hatten sie in diesem letzten Jahr natürlich oft besucht und ihr nach und nach verständlich gemacht, daß sie Ma und Pa lange nicht sehen würde. Von allen ihren Vorbereitungen war dies die schwerste gewesen: mit Klugheit, Geschick und übermenschlicher Selbstverleugnung die Gefühle ihrer Tochter so zu lenken, daß ihre innere Bindung an die Großeltern immer fester, die Bindung an sie, die Eltern, jedoch immer lockerer wurde.
    Und obwohl sie von den Großeltern darin verständnisvoll unterstützt wurden, war ihnen nie irgend etwas so schwergefallen. Auch anderen ging es so. Es gab wohl überhaupt niemanden unter den Kosmonauten, der die Erde leichten Herzens hinter sich ließ. Freilich, den persönlichen Abschied von Verwandten und Freunden hatte jeder schon auf der Erde vollzogen. Aber den Abschied von der Erde als ihrem Heimatstern, von der Menschheit als ihrer großen Mutter, die die Söhne und Töchter in den Kampf schickte – diesen Abschied nahmen sie hier, während die Klangwogen des Kosmischen Konzerts von Kordan Greinski durch den Saal fluteten, während Nadja Shelesnowa als Repräsentantin der Erde die Abschiedsode von Henio Lesti sprach, während des traditionellen zehnminütigen Schweigens unter der drehenden Erde, die als plastisches Bild über der Vorsitzenden des Kosmischen Rates hing.
    Das Bild der Erde erlosch. Gelöst vom Bisherigen, schon ganz der Zukunft und ihrer Aufgabe zugewandt, setzten die Kosmonauten an Bord ihrer Raumschiffe über.
     
    Alle hatten ihre Plätze eingenommen. Die Raumschiffe sollten in zwei Wellen starten, zuerst SIRIUS, WEGA und ATAIR, eine Minute später die vier anderen. Während die Besatzungen die letzte Funktionskontrolle ausführten, saßen Yvonne und Lutz wartend in ihren Konturensesseln. Sie wußten, daß sie jetzt nacheinander noch einmal auf den Bildschirmen der Erde erschienen – jetzt, das hieß in einer knappen halben Stunde, wenn die Funkwellen der STARTSTUFE II die Erde erreicht haben würden, wenn sie selbst schon weit entfernt von dieser Station sein würden. Eine ungeheure Sehnsucht nach seiner kleinen Tochter überfiel plötzlich Lutz, nach ihren kleinen Händen, ihrem Haar, ihrer Stimme. Um nicht daran zu ersticken, versuchte er im Kopf auszurechnen, wie lange sie mit den verbesserten Triebwerken bis zum Feld brauchen würden, das ja jetzt schon um 140 AE näher gekommen war, aber es gelang ihm nicht, er bekam immer wieder etwas anderes heraus als das richtige Ergebnis, das er ja kannte: 211 Tage. Und er fühlte sich erlöst, als sich die Hand seiner Frau auf seine Hand legte. Er blickte auf. Nadja Shelesnowas Gesicht sah ernst vom Bildschirm.
    „Ich zähle die verbleibenden Sekunden: zehn – neun – acht –“
    Henner Hellrath fiel in diesem Moment, er wußte nicht warum, der seinerzeit abgebrochene Start ein, mit dem alles begonnen hatte, er resümierte im Bruchteil einer Sekunde sein ganzes bisheriges Leben und fand, daß es richtig gewesen war mit allen Höhen und Tiefen, er lächelte und freute sich darüber, daß er lächelte.
    „ – sechs – fünf – vier –“
    Im Schwesterschiff, der WEGA, betrachtete Kathleen aus den Augenwinkeln das geliebte Profil ihres Mannes, des Kommandanten und Kapitäns Wladimir Schtscherbin, auf den sie stolz war und dessen Gesicht sogar in diesem Augenblick für sie das Interessanteste war, was es zu sehen gab. Und er spürte den Blick, er konnte zwar die Augen nicht vom Pult wenden, aber er hob leicht die Hand, und sie war glücklich, daß er gespürt hatte, wie sie ihn ansah. Die Zeit der häufigen Trennung war zu Ende, sie würden jetzt immer zusammenbleiben, acht lange Jahre, und dann…
    „ – drei – zwei –“
    Ljuba sah nach Miguel. Sie hatte es sich noch nicht abgewöhnen können, in ihm denjenigen zu sehen, für den sie sorgen müsse, den ungeschickten Jungen, der er

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