Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1
wagen und ungebeten seinen Fuß auf mein Grundstück setzen.« Er tippte auf den Zettel. »Ich kenne doch meine Pappenheimer.«
»Wer sind denn deine Pappenheimer?«, fragte Mathilda. »Hast du etwa schon mal eine solche Drohung bekommen?«
»Ja, aber das ist schon eine ganze Weile her«, erwiderte Opa Heinrichen. Er kratzte sich an der Stirn und umrundete den Tisch. Die Lederschlappen klapschten gegen seine Fußsohlen. »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.«
Mathilda seufzte. Opa Heinrichen hatte schon seit einiger Zeit Probleme mit dem Gedächtnis. Genau genommen hatte es angefangen, nachdem Hannibal gestorben war.
»Damals steckte der Zettel allerdings im Briefkasten«, fuhr Opa Heinrichen fort. Er stoppte, nickte Henriette Habermick kurz zu und lief – klapsch, klapsch, klapsch – ein weiteres Mal um den Tisch herum.
»Es wurde also nicht bei Ihnen eingebrochen?«, vergewisserte sich Oskar. »
Damals
meine ich.«
Wieder hielt Opa Heinrichen in seiner Bewegung inne, kratzte sich an der Stirn und sagte: »Genau genommen wurde dieses Mal ebenfalls
nicht
eingebrochen.«
»Was willst du denn damit sagen?«, fragte Mathilda.
»Ganz einfach, mein Kind: weil ich meine Tür in der Regel nicht zusperre«, begann Opa Heinrichen mit seiner Erklärung. »Wenn ich in meinem Bücherzimmer bin oder im Keller unten, dann höre ich die Klingel meistens nicht. Da ist es sehr praktisch, wenn die Leute einfach hereinkommen und rufen.«
»Opa Heinrichen«, sagte Mathilda und sah den alten Herrn mit ernstem Blick an. »Nachts muss kein Fremder in deinem Haus herumlatschen. Da kannst du getrost abschließen. Eswäre sowieso viel besser, wenn du die Klinke an der Haustür endlich durch einen Knauf ersetzen würdest.«
»Da kann ich Mathilda nur beipflichten«, sagte Henriette Habermick.
»Tja.« Opa Heinrichen nickte. »Das alles würde ich ja gerne tun, doch leider habe ich vor geraumer Zeit meinen Schlüssel verloren.« Er lächelte, aber es sah ein wenig verunglückt aus. »Von daher bin ich ganz froh, dass meine Haustür außen eine Klinke hat.«
Nachdem das ganze Brot und auch die Erdbeermarmelade aufgegessen waren, halfen Oskar und Mathilda Henriette Habermick, die Sachen in die Wohnküche zu tragen und das Geschirr abzuspülen.
»Was sollen wir heute denn mal Schönes unternehmen?«, fragte Oskars Mutter. Sie hängte das feuchte Geschirrtuch über die Sessellehne, nahm ihre Küchenschürze ab und legte sie vor sich auf den Tresen.
»Och …«, sagte Oskar. Unschlüssig sah er Mathilda an.
Sie zuckte mit den Schultern und machte ihm ein Zeichen, dass sie mit ihm unbedingt noch mal auf den Dachboden hinaufwollte.
»Wir könnten ein wenig den Ort erkunden«, schlug Henriette Habermick vor.
»Das lohnt sich nicht«, meinte Mathilda. »Es wohnen nur stinkreiche Leute hier. Die Häuser, die Gärten, die Geschäfte, alles ist piekfein und gähnend langweilig. Außerdem haben die Läden heute sowieso geschlossen.«
»Ich wüsste trotzdem gerne, wo sich die nächste Poststelle befindet, welchen Weg Oskar morgen zur Schule nehmen muss und wie weit es bis zum Bäcker ist«, erwiderte Henriette Habermick. »Wir haben nämlich nicht einen Krümel Brot mehr.«
»Tut mir leid«, sagte Mathilda schuldbewusst. »Ich hab nicht daran gedacht, dass Sie gerade erst hergezogen sind und sich noch keine Vorräte anschaffen konnten.«
»Macht doch nix«, entgegnete Oskar.
Seine Mutter sog geräuschvoll Luft in ihre Nase, sagte aber nichts. Oskar senkte den Kopf. Er wusste genau, was in ihr vorging. Eigentlich war Henriette Habermick der herzlichste und großzügigste Mensch unter der Sonne. Doch seitdem Papa verschwunden war, hatte sich alles verändert. Zuerst war seine Mutter nur besorgt gewesen, dann traurig und verzweifelt und schließlich unglaublich wütend.
»Mistkerl!«, hatte sie geflucht. »Was fällt dem ein, uns so im Stich zu lassen!«
Oskar glaubte nicht, dass sein Vater sie einfach so verlassen hatte. Er war überzeugt, dass es einen triftigen Grundfür sein plötzliches Verschwinden gab und dass sich eines schönen Tages alles aufklären würde. Das Verhalten seiner Mutter fand er ungerecht, verstehen konnte er es aber schon. Und er verstand auch ihre Angst davor, dass ihnen eines Tages das Geld ausgehen würde.
»Hoffentlich findet sie den Weg«, sagte Oskar, als er zehn Minuten später mit Mathilda im Geheimquartier hockte.
»Klar«, erwiderte Mathilda. »Deine Mutter ist doch nicht blöd. Außerdem habe
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