Ein Strandkorb für Oma
Bewegungen in der Luft herum und haben sich offensichtlich viel zu erzählen.
«Oma!», rufe ich erleichtert.
Sie dreht sich um. «Sönke, Maria! Was macht ihr denn hier?»
Wir umarmen sie. Sie steht auf und deutet auf ihre Nachbarin: «Darf ich euch Frau Dr. Nissen vorstellen?»
Fräulein Rottenmeier macht Anstalten aufzustehen und reicht uns die Hand. «Moin.»
«Das sind meine Enkel Maria Riewerts und Sönke Naumann.»
«Bleiben Sie sitzen», bittet Maria die alte Dame. Wir hatten ja eigentlich schon mal das Vergnügen, aber ich will lieber keine Peinlichkeit provozieren, indem ich das erwähne.
«Frau Dr. Nissen war jahrzehntelang praktische Ärztin in Schobüll. Sie hat mir etwas gegen Krampfadern empfohlen.»
«Hast du Krampfadern?», staunt Maria.
«Nein, aber wenn, sollte man wissen, was zu tun ist.»
Frau Dr. Nissen nickt und lächelt freundlich: «Die Fähre kommt heute nicht mehr, extremes Niedrigwasser, die können gar nicht mehr anlegen.»
Sie steht auf und wünscht uns einen wunderschönen Tag. Wir schauen ihr hinterher.
«Dieser ganze Steg ist Verarsche», raunt uns Oma zu.
«Wir müssen reden, Oma.»
Oma springt auf. «Aber nicht hier. Hier bekomme ich Depressionen.»
«Lass uns an den Strand gehen», schlage ich vor. «Im Wasser redet es sich leichter.»
Obwohl die Sommersonne ihr Allerbestes gibt, ist kaum ein Tourist an diesem abgelegenen Strandabschnitt zu sehen. Maria und ich nehmen Oma in unsere Mitte, während wir mit den Füßen durchs flache, wohltemperierte Wasser streifen.
Ich überlasse Maria das Wort. Sie weiß besser, was jetzt ansteht.
«Oma, hast du das Bild geklaut?», fragt Maria ganz direkt.
Oma setzt eine empörte Miene auf.
«Ich sag’s auch nicht weiter», verspricht Maria.
«Denkst du, dass deine eigene Großmutter eine Verbrecherin ist?», beschwert sich Oma.
Maria findet das gar nicht amüsant. «Es ist wichtig! Hast du, oder hast du nicht?»
Oma wirkt plötzlich ganz klein und verloren.
«Ich hab es doch schon Sönke erzählt», sagt sie mit weinerlicher Stimme. «Ich erinnere mich nicht mehr.»
Es tut mir richtig weh.
«Und Jade?»
«Jade ist ein ordentliches Mädchen.»
«Aber den Erpresserbrief hast du geschrieben, in dem du die alten Postleitzahlen zurückforderst.»
«Wie kommst du denn darauf?»
«Wer sonst sollte auf so eine Idee kommen?»
Oma überlegt lange, dann bleibt sie stehen. «Da könnte eventuell etwas Wahres dran sein.»
Sie schaut so kindlich-schuldbewusst, als sei sie beim Äpfelklauen erwischt worden.
«Oma, auf dem Brief waren Fingerabdrücke. Soll ich die mit deinen abgleichen lassen?»
«Das würdest du tun?»
Maria holt tief Luft.
«Ich bin doch gar nicht dein Problem, sondern der Kollege Winter vom BKA . Der will es ganz genau wissen.»
Oma lacht verlegen.
«Es ist kein Witz, Oma, wir wollen dir helfen», verspricht Maria.
Ich schaue einer Gruppe Sturmmöwen hinterher, die über uns hinweg Richtung offene See zieht.
«Schuldig!», sagt Oma plötzlich laut.
«Wie?», rufen Maria und ich gleichzeitig.
«Ich habe eine Vier gewürfelt», sagt Oma leise. Dann zeigt sie nach unten: «Guck mal, ein Krebs!»
Tatsächlich läuft ein kleiner Krebs an ihrem knallrot lackierten großen Zeh vorbei.
«Ihr habt also gewürfelt», fasst Maria geduldig zusammen. «Wer war denn dabei?»
«Ocke und Christa. Die ‹Vier› hieß bei uns nun mal: Schreibe einen Brief an die Polizei, in dem du die alten Postleitzahlen forderst. Es hätte genauso gut Christa oder Ocke treffen können.»
«Was waren die anderen Möglichkeiten?»
«Ein versautes Lied in der Kurmuschel singen, ein Graffito auf die Fähre sprühen, die guten Sachen habe ich vergessen.»
Maria zieht eine Augenbraue hoch: «Musste das sein?»
Oma versteht nicht: «Drei Möglichkeiten müssen wehtun!»
«Kann man nicht was anderes spielen?», stöhnt Maria, die vor wenigen Tagen noch selbst voller Lust bei uns mitgewürfelt hat.
«Komme ich deswegen in den Knast?», fragt Oma zaghaft und sucht den Blick ihrer Enkelin.
«Nur, wenn du das Bild gestohlen hast. Wir müssen das wissen, wenn wir uns bei der Polizei melden.»
«Bei der Polizei melden?», wehrt Oma ab. «Wieso sollten wir das tun?»
Sie ahnt nicht, was auf Föhr gerade alles an Polizeitechnik aufgeboten wird, um sie zu finden.
«Mensch, Oma, die suchen dich. Es ist besser, wenn du dich freiwillig stellst.»
Oma schaut unglücklich aufs Meer, auf dem ein schnelles Boot laut brummend hinüber
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