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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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beinahe wütend. Und er spürte plötzlich den flüchtigen Drang, ihm irgendwie ein Zeichen zu machen, mit der Hand zu winken, aber der Jeep holperte hinab unter den flachen mergeligen Rand des Hügels, Robard war verschwunden, und er hatte nicht einmal mehr Zeit, seine Hand von dem Fensterrahmen zu nehmen und in die Luft zu heben.
    Am Fuße des Hügels führte die Straße weiter durch ein tiefes schattiges Tal, in dem die meisten Bäume abgestorben oder bis auf vereinzelte grüne Zweige in den kahlen Baumkronen, die dort vom Sonnenlicht am Leben erhalten wurden, in einem Stadium des Verfalls waren. Die Wurzeln hatten sich durch den knorrigen Boden gebohrt, und die Stämme hatten einen blassen bräunlichen Glanz, der die Borke einen Meter über dem Boden überzog, und an den größeren Bäumen saßen erst in zehn Meter Höhe die ersten Zweige.
    Im Talgrund wechselte auch unerwartet die Luft, und es herrschte, wie er fühlte, eine kühle Abgeschlossenheit, geradezu Feierlichkeit, da die toten Zweige hoch oben ineinandergriffen und das Blätterwerk darüber sich verknäuelte und verflocht, und so das, was darunter lag, geschützt und von der Insel völlig abgeschieden war.
    Die Straße, die der alte Mann nahm, war nur insofern eine Straße zu nennen, als bereits mehrere Sätze von Kettenreifen den Boden überquert und dreieckige Profilfurchen in den Lehm gegraben hatten, und führte direkt durch den Wald und verlor sich unsichtbar in der Ferne.
    Der Jeep stieß große Abgaswolken aus und machte schreckliche würgende Geräusche, die das Tal erfüllten, und Mr. Lamb hatte sich in das Getöse geflüchtet und sah nun etwas entkräftet aus. In dem moosigen Licht wirkte seine Haut blaß, und das Blut hämmerte gegen die Arterie auf seiner Stirn und zirkulierte heiß in sein Gehirn zurück. Sein Körper war über das Steuerrad gebeugt, und die Hosenträger hingen vor seiner Brust, als hätten sie nichts, woran sie sich festhalten konnten.
    Auf einmal hustete der alte Mann eine Menge Schleim hoch, spuckte ihn aus und warf ihm einen durchtriebenen Blick zu, als ob ihn irgend etwas zum Reden reizte, er aber entschlossen wäre, es für sich zu behalten, bis der absolut richtige Moment gekommen wäre, wo er es eröffnen und damit alle unangenehm überraschen würde.
    Ein Specht stieß aus einer der Eichen herab und flatterte torkelnd den schimmernden Pfad hinunter, wobei er nur mühsam seinen dicken Körper in der Luft zu halten vermochte. Mr. Lamb beobachtete den Vogel interessiert, als notiere er im Geiste etwas über ihn, und schaute ihn dann wieder schlau an, als habe in der Art und Weise, wie der Vogel geflogen war, etwas Bedeutsames gelegen, das man nicht übersehen durfte. Er schaute wieder auf die Fahrspur, als er keine Antwort erhielt.
    »Haben Sie schon mal die Geschichte von dem Ziegenbock im Schlachthaus gehört?« fragte Mr. Lamb, als wäre er seiner eigenen Verdrossenheit müde und wollte sie mit irgendeiner Skurrilität verdrängen.
    »Nein«, sagte er und fragte sich, ob in der bevorstehenden Erzählung des alten Mannes wohl irgendeine Demütigung lauerte, die ihm zugefügt werden sollte.
    Der alte Mann schaute ihn mißtrauisch an, um zu sehen, ob er eine Spur von Unernst in seiner Haltung der Geschichte gegenüber entdecken könnte, die er nun vor ihm aufrollen wollte. Er lächelte mit der größten Ernsthaftigkeit, die er aufbringen konnte, zurück, und der alte Mann lehnte sich lässig vor und schien zufrieden zu sein.
    »Dies ist eine wahre Geschichte«, versicherte ihm der alte Mann über das Gurgeln des Jeeps hinweg. Er brachte noch eine Frachtladung von Speichel hoch und löschte sie an der Seite. »Also da war dieser Ziegenbock, wissen Sie, ein schöner großer Oschi mit ’nem dicken weißen Ziegenbart am Kinn.« Der alte Mann zeigte auf sein eigenes Kinn. »Und die hielten sich diesen alten Bock im Schlachthof, wissen Sie, damit er die Schafe und Kühe die Schrägen runterführte, wo sie so ’n großen strammen Nigger mit ’nem Vorschlaghammer hingestellt hatten, der ihnen eins übern Kopf geben und ihnen gewaltig was verpassen sollte.« Er schaute ihn wieder lebhaft an, während seine alten, feuchten Augen im aufflackernden Sonnenlicht glitzerten, um zu sehen, ob er alles auch so zu würdigen wußte, wie er sollte. »Manchmal, wissen Sie«, sagte er, »wurde ein altes Schaf plötzlich mißtrauisch, wenn es die Schräge runterging, und wollte auf einmal nicht weitergehen. Vielleicht hatte es eine

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