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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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über das Ganze nachzudenken, weil er schon wußte, daß er am Ende wieder alles abkriegen würde.
    Der alte Mann schaute ihn aufmerksam an, und Schaum formte zwei auffällige weiße Anker in seinen Mundwinkeln. »Er bekam einen Herzschlag und starb«, schrie er, und auf seinem Gesicht erschien ein großes breites Grinsen und stellte sein Gebiß zur Schau, das wie ein angebrochener Verandabalken bedenklich an seinem Zahnfleisch wackelte. »Hahahaha.« Der alte Mann konnte nicht länger an sich halten. Der Jeep war plötzlich aus den jungen Wassereichen ins Freie gerumpelt, und der alte Mann mußte sich geradezu auf die Bremse stellen, damit sie nicht direkt ins Wasser hineinfuhren, das sich plötzlich in beide Richtungen einen halben Kilometer weit öffnete und sich zweihundert Meter weit erstreckte, bis zu einer Ebene von toten Bäumen, wo sich der Fluß einfach im Wald und zwischen gelben Teichrosen verlief, statt am Rand einer erkennbaren Böschung zu enden.
    Mr. Lamb sah vollkommen verwirrt aus. Er atmete schwer und starrte über die geneigte Schnauze seines Willys hinweg, hatte seine dünnen Brauen zusammengezogen und versuchte zu analysieren, wie es dazu hatte kommen können, daß er mit seinem Jeep beinahe in seinen eigenen Fluß gefahren wäre und sich dabei ertränkt hätte. Aus irgendeinem Grund hatte Mr. Lamb, als er losgefahren war, seine Brille abgenommen, und seine Augen sahen nun dumpf und wäßrig aus, und die kleinen Blasen an den Stellen, wo die Nasenstege gesessen hatten, sahen scharlachrot und bösartig aus, als hätte er die Brille schließlich auf Geheiß eines grauenhaften Schmerzes hin absetzen müssen.
    Er schaute ihn an und konnte sehen, wie der Verstand des alten Mannes systematisch zurückverfolgte, was er bloß so eifrig nacherzählt hatte, bevor sie beide beinahe kopfüber ins Wasser gestürzt und ertrunken wären.
    »Ach ja«, sagte der alte Mann, und das Lächeln überzog wieder sein Gesicht. »Also was, meinen Sie, ist die Moral von der Geschichte über den Ziegenbock namens Newel?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er betrübt und nahm dem alten Mann jetzt die ganze Geschichte übel.
    »Die Moral ist«, sagte Mr. Lamb, und seine Augen verwandelten sich in winzige Sehschlitze, die die unvergleichliche Bedeutsamkeit seiner Worte verkündeten, »daß ein schlauer Ziegenbock immer schneller ist als ein toter Ziegenbock.« Die Augen des alten Mannes öffneten sich plötzlich weit, als imitiere er die Reaktion, die er zu sehen erwartete, aber nicht sah. Er starrte den alten Mann bloß ausdruckslos an, um seine Mißbilligung zu demonstrieren, und Mr. Lamb begann, ihn mißtrauisch anzusehen und wütend seine Nasenlöcher aufzublähen, weil es ihn ärgerte, daß man ihm nicht dazu gratulierte, seine Geschichte zu einem so lehrreichen Ende gebracht zu haben.
    »Nehmen Sie den Kasten«, fauchte der alte Mann plötzlich, kletterte mühsam auf seiner Seite aus dem Jeep und marschierte den Strandkies hinunter, wo ein grüner Traveler auf die ausgedörrte Erde hochgezogen und an einen weiteren rot markierten Baumstumpf oberhalb der Wasserkante angebunden worden war. Die Sonne, die gerade unter einen dicken Wolkenhöcker sank, faßte die Oberfläche des Sees ein, und ihr Licht fing sich in den dünnen Spinnweben, die über dem Wasser jenseits der Stelle, auf die der alte Mann zusteuerte, aufgespannt waren. Der See roch heiß und süß, und auf dem Wasser rührte sich überhaupt nichts. Nur das Geräusch eines Spechts auf dem Weg hinter ihnen war zu hören, ein hohles  plock , das über den See hallte und sich in dem überschwemmten Wald dahinter verlor.
    Er stieg aus dem Jeep und hob den schwarzen Kasten heraus, den Mr. Lamb irgendwie als Telefon zu benutzen plante, und merkte, daß er so schwer war, als enthielte er reines Blei. Er stellte ihn ab, wickelte die baumelnden Kupferkabel einmal um ihn herum, nahm ihn wieder hoch und schlurfte zum Boot hinüber, das Mr. Lamb auf die Seite gewippt hatte, damit das Wasser in den See ablief. Der Geruch des Wassers schien am stärksten zu sein, wenn der Wind schwach war, dann kam jedesmal die Sonne hinter der Wolke hervor und brannte auf die Wasseroberfläche herab. Der See war langgestreckt und geformt wie eine Zigarre, und das Wasser war leberbraun und sah dickflüssig und sahnig aus. Schon das bloße Herumstehen machte ihn benommen.
    »Hilf mir mal, mein Sohn«, sagte der alte Mann, ließ die hochkant gestellte Bootswand hinunterschaukeln und begann, das

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