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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Crystal«, sagte sie.
    Ihm fiel auf, daß sie gerade ihren Nachnamen gesagt hatte.
    »Sobald der sieht, daß ich nicht komme, macht er sich doch mit seinem ekelhaften Bruder davon und säuft Bier. Das ist typisch für dieses Aas.« Sie senkte die Stirn, als ob sie alles, was passieren würde, schon vor sich sehe.
    Der erste Lastwagen, der an ihnen vorbeifuhr, ein Sattelschlepper, dessen Dieselabgase in die Wüste wehten, zischte durch die Kurven, und die Räder gruben sich in den Schotter. In den Staub und die geronnene Schmiere auf der Seite war in großen Lettern  HOL MIR EINEN RUNTER  und darunter  NIMM NOCH EIN KLEINES STÜCK MEINES HERZENS  gemalt, als ob eine Zeile aus der anderen folgte und das Ganze einen Sinn ergäbe. Er schaute auf die Graffiti, kratzte sich im Nacken und fragte sich, was das wohl heißen sollte. Er überlegte, ob er sie bitten sollte, einen Blick darauf zu werfen, aber sie sah böse aus, und er entschied sich dagegen.
    »Wie spät ist es?« fragte sie.
    »Kurz vor«, sagte er.
    Das Mädchen war am anderen Ende der Käfigreihe, gurrte den Rotluchs an und wiederholte seinen Namen ununterbrochen mit zärtlicher Stimme.
    »Laß uns abhauen«, sagte sie.
    »Wohin denn?« fragte er.
    »Zu ’nem Motel oben in Conchas. Und da bleiben wir zwei. Komm, los.«
    Er blickte sie an, um ihr zu zeigen, daß er es sich überlegte.
    »Und was ist mit dem Wagen?«
    »Scheiß drauf. Der Wagen fährt sowieso nicht mehr.«
    Er senkte die Stirn auf seine Handgelenke, starrte zu Boden und versuchte zu überlegen, was er jetzt tun sollte. »Ich dachte, du machst dir  Sorgen  deswegen«, sagte er.
    »Laß uns bloß abhauen, ja?« sagte sie. »Und die Sorgen mach ich mir dann morgen.«
    »Und was ist mit …?«
    »Und was ist mit Scheiße!« sagte sie. »Darum kümmer ich mich schon selber. Und wenn ich irgendeinen Rat brauche, frag ich deine kleine Fotze, auf die du so scharf bist.«
    »Ich bin nicht scharf auf sie«, sagte er, preßte den Kopf weiter auf seine Handgelenke und spuckte in den Staub.
    Sie wurde still, und er beschloß, für eine Weile Stille walten zu lassen.
    »Ich warte«, sagte sie.
    »Worauf wartest du denn?« fragte er.
    Sie schaute ihn durchdringend an, und ihre Pupillen verdunkelten sich, und er begriff, daß sie so blickte, wenn sie wütend aussehen wollte.
    Sie saß da, starrte hinaus auf die lange Kurve und atmete tief ein. Der Wind drehte sich und wehte jetzt hinter dem Haus hervor. Das Mädchen saß auf ihren Hacken und machte mit hoher Stimme ein Geräusch ähnlich einem Taubenruf. Er dachte, die Frau brauche wohl etwas Zeit, um zu begreifen, daß er sich nicht von jemandem bevormunden lassen würde, der ihm gar nichts bedeutete, gleichgültig, was für eine Belohnung ihm dafür winkte. Und auch dann nicht, wenn es bedeutete, daß die Belohnung ausblieb.
    »Es gibt überhaupt keinen Grund, sauer zu sein«, sagte er in seine Armbeuge hinein.
    Sie schaute weg.
    »Es gibt auch überhaupt keinen Grund, woanders hinzufahr’n.«
    »Mir ist jetzt sowieso alles egal«, sagte sie und ließ die Schultern sinken.
    »Hier gibt’s auch ein Zimmer«, sagte er.
    Sie schaute auf das langgestreckte rote Haus, dann auf ihn und dann wieder auf die Straße hinaus.
    »Der Junge kann sich morgen früh um den Wagen kümmern«, sagte er und fühlte, wie die Dinge ihm allmählich entglitten.
    Sie kaute auf der Unterlippe herum und trommelte mit den Fingern. »Gibt’s hier auch ’ne Klimaanlage?« fragte sie.
    »Ventilator«, sagte er.
    Während er sie ansah, schien ihr blasses Gesicht noch blasser zu werden, wie ein Stück Sackleinen, das in die Sonne gehalten wurde.
    »Warum nicht«, sagte sie und schaute hinaus in die Wüste auf die dunstigen Kaktussilhouetten, die sich wie Stecknadelköpfe am Horizont abzeichneten, und seufzte. »Bei dieser Hitze können wir sowieso keinen draufmachen.«

6
    Das Mädchen führte sie ins Haus, in dem es düster und kühl war, und stellte sich hinter einen Ladentresen vor ein altes Hauptbuch. Der Raum wurde nur von dem Licht erhellt, das durch das vollgestellte Fenster fallen konnte, und von einer mintfarbenen Glühbirne in der Kühltruhe hinten im Laden. Er mußte sich tief hinunterbeugen, um zu sehen, wo er unterschreiben mußte, und als sie auf die Stelle zeigte, blickte er für einen Augenblick auf das Buch und unterschrieb dann mit »Mr. & Mrs. S. Tim Winder«, wobei er den Kugelschreiber benutzte, der mit einer kleinen Kette an dem Buch befestigt war. Die

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