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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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hinter den Bäumen hervor.
    Robard legte seine Arme aufs Steuer und starrte über das Feld auf den Wald. »So eine Sache wie die mit dem Hirsch hab ich schon mal gesehn«, sagte er. »Ich stand draußen an einem See in Lee Vining und hielt Ausschau nach Fischen, stand bloß da und hielt meine Angel, mit einem anderen Typen zusammen. Eine Zeitlang standen wir nur herum und überlegten, ob wir nun fischen sollten oder nicht, und nichts regte sich. Aber eigentlich mußten da Fische rumflitzen. Also hat der Ralph in seinen Beutel gelangt, ’ne Scheibe Weißbrot rausgeholt, sie rausgeschmissen und auf dem Wasser treiben lassen. Und bald schon sahen wir ’n paar kleine Fische auftauchen, die an der Rinde knabberten und nur ganz kleine Wellen machten. Wir saßen bloß da und guckten zu, denn diese kleinen Fische waren nicht groß genug zum Angeln, und wir warteten auf ’nen großen Fisch. Die kleinen werden neugierig, bevor die großen es tun, deshalb werden auch so viele kleine gefangen und so wenige große. Die großen sind schlauer. Wir standen da und guckten und guckten. Und bald danach tauchte ein Fischadler auf und steuerte das Brot an, bloß um einen Blick drauf zu werfen. Dann flog er noch eine Runde und warf noch einen Blick drauf. Und dann stieg er auf, ließ sich mit ausgestreckten Klauen fallen und stürzte sich auf das Brot. Und genau in diesem Augenblick, wo er es erreichte, zisch!, da tauchte diese riesengroße Regenbogenforelle auf und schnappte sich das Brot mit einem Biß. Und der Fischadler traf sie mit voller Wucht, senkte beide Klauen in ihren Rücken, krallte sich fest, und dann war der Vogel einfach weg. Denn das war ein Riesenfisch.«
    »Hat Ihnen je einer diese Geschichte geglaubt?«
    »Was soll’s«, sagte Robard und schaute auf den Wald. »Ich hab’s  gesehen . Das verschafft mir die Genugtuung, die ich brauche. Obwohl ich’s gar nicht Genugtuung nennen möchte; es ist bloß eine Erinnerung, die mich befriedigt. Die Situationen gleichen sich sowieso nicht. Dieser Fischadler hat bloß mehr gewollt, als er fressen konnte. Der kleine Hirsch sah mir nicht so aus, als ob er die Wahl hatte. Man kann auch sagen, daß er ein Opfer war.«
    »Von wem?« murmelte er und griff nach dem Rahmen der Windschutzscheibe, um sich festzuhalten.
    »Von sich selber.« Robard lächelte.
    »Und was für ’ne Lehre können Sie nun aus so ’ner Geschichte ziehen?«
    Robard nahm seine Arme vom Steuer und rutschte zurück, bis sie ausgestreckt waren. »Das weiß ich nicht«, sagte er bedächtig. »Es war etwas, das geschehen ist, also nehme ich an, ich hab schon was daraus gelernt.«
    Er drehte sich um, so daß sie einander anschauten. »Hilft Ihnen das?«
    »Wofür?« fragte Robard unglücklich.
    »Sich irgendwas klarzumachen.«
    »Was zum Beispiel?« fragte Robard und steuerte den Jeep in das Feld, um einem Schlagloch auszuweichen. »Ich hab schon Schwierigkeiten, mich daran zu erinnern, was ich gestern eigentlich gemacht habe«, sagte er, versuchte, über die Motorhaube hinwegzuschauen und wieder in die Spur zu kommen.
    »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Sie tun so, als wär’n Sie ein bißchen beschränkt, damit Sie die Leute in die Pfanne hauen können. Aber mich legen Sie nicht rein.«
    »Newel, ich glaube, für heute haben wir genug geredet.«
    »Ich weiß nicht«, sagte er, schaute wieder nach vorn und war in Hochstimmung. »Sie sind ’n ganz Schlauer.«
    »Meinetwegen, dann will ich’s mal so ausdrücken«, sagte Robard. »Wenn ich so scheißschlau bin, warum kutschiere ich Sie dann wohl in diesem Jeep mitten durch die Pampa, wo ich überhaupt nichts zu suchen hab?«
    »Die Frage könnte ich Ihnen auch stellen«, sagte er.
    »Warum tun Sie’s dann nicht«, fragte Robard, »und lassen mich in Ruhe?«
    »Weil«, sagte er, »Sie vielleicht meine Chance sind.«
    »Eine Menge Leute würden sofort in den Fluß springen, wenn sie dächten, ich wäre bei irgendwas ihre Chance. Manchmal denk ich, ich gehör auch zu denen.«

14
    Der Weg führte aus der kleinen Grasprärie heraus, durch Pappelbüsche und junge Kiefern und dann wieder auf eine Wiese. Die Sonne stand niedrig, funkelte zwischen den Pappeln hindurch, färbte die Gräser golden und warf zerstreute Schatten in den Wald. Ein Stück der Wiese nördlich des Weges war gemäht und ein Trapezoid mit Vermessungspfählen und roten Fahrradreflektoren markiert worden. An der ihnen zugewandten Seite zuckte ein Windsack an einer Eisenstange im Wind, und am Ende

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