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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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nicht in das Geheimnis eingeweiht wurde. »Was haben Sie denn zu tun?«
    »Wir haben das Thema schon diskutiert«, sagte er und spülte etwas Kaffeesatz in seinem Mund weg.
    »Haben wir das?« fragte der alte Mann laut. »Sie planen doch keinen Raubüberfall in Helena, oder?«
    »Nein, Sir.« Er versuchte, den Haferbrei zu bewegen, und merkte, daß es nicht ging.
    Der Mann nahm sich noch eine große Portion und musterte ihn von oben bis unten. »Haben Sie Verwandte in Helena?«
    »Die sind alle weggezogen«, sagte er.
    »Ich kenne  niemanden  in Helena«, sagte der alte Mann. »Ich bin aus Marks, Mississippi, und wenn ich nicht über die Helena-Brücke hätte gehen müssen, um auf diese Insel zu kommen, wär ich da nie hingekommen. Ich kann’s nicht ausstehen. Diese Insel gehört zu Mississippi. Mit Arkansas hab ich absolut nichts im Sinn. In Arkansas gibt’s bloß Schwachköpfe und Kriminelle, wie der alte Idiot, der am anderen Ufer wohnt. Wenn Sie die kleine Bank of Dixie drüben in Helena ausrauben wollen, machen Sie’s ruhig, da hab ich nämlich keinen Cent drin.«
    »In Ordnung«, sagte er und wollte aufbrechen.
    »Was halten Sie von Newel?« fragte der alte Mann erbittert.
    »Er stellte eine Menge Fragen.«
    »Ich glaube nicht, daß er genug Verstand besitzt, um beim Pissen den Schlitz aufzumachen, oder was meinen Sie?« Der alte Mann grinste, und sein Gebiß löste sich langsam von seinem weichen Zahnfleisch.
    Er dachte an Newel, der in der Kühle da lag, halb wach und halb im Schlaf, während er sich bei dem alten Mann anbiedern mußte, bloß um sich einen Abend frei zu betteln. Newel schien die Dinge im Augenblick wesentlich besser im Griff zu haben als er. »Er wird schon ’n guter Anwalt werden.«
    »Scheiße«, schnaubte der alte Mann. »Diese Scheißkerle sind allesamt falsch wie die Schlangen. Sie dürfen mein Testament machen, aber das ist alles, gütiger Gott, was ich mit ihnen zu tun haben will.« Das Gesicht des alten Mannes nahm einen beflissenen Ausdruck an. »Haben Sie schon Ihr Testament gemacht?«
    »Ich hab noch nicht dran gedacht.«
    »Das sollten Sie aber«, sagte der alte Mann und neigte vertraulich das Kinn. »Ich hab meins gemacht, und seitdem fühle ich mich viel besser.« Er betrachtete seine Finger, als wären die Wohltaten dort abzulesen. »Man kann nie wissen, wann man umfällt wie ’ne Schaufel. Sie sind verheiratet, oder?«
    »Bin ich wohl«, sagte er.
    »Na dann«, sagte der alte Mann, kippte mit seinem Stuhl zurück und ließ seine Mundwinkel erschlaffen. »Sie wissen doch, warum die Vögel morgens singen, wenn sie wach werden, oder?«
    Er brachte seinen Kopf auf gleiche Höhe mit den Augen des alten Mannes und versuchte, sich an einen Vogel zu erinnern, der in den feuchten Ästen gesungen hatte, aber er konnte sich nur an das monotone Murmeln des Regens erinnern und an das Gespenst von W., das zwischen den Bäumen stand.
    »Nein, Sir«, sagte er.
    Die Lippen des alten Mannes verzogen sich zu einem listigen Lächeln. »Weil«, sagte er, »sie glücklich sind, daß sie noch ’nen Tag zu leben haben. Darauf können Sie sich nämlich nicht verlassen, Hewes. Die kleinen Vögelchen wissen das auch. Deshalb singen sie da draußen die ganze Zeit. Sie versuchen, uns etwas zu sagen. ›Tschilp, tschilp, du lebst noch, du dummer Scheißkerl.‹«
    Seine Augen rundeten sich, er krächzte ein rauhes Lachen hervor und stand auf. »T. V. A.«
    Landrieu erschien in der Tür.
    »Geh zum Schloß und wärm den Thron vor.«
    Der Farbige ging über die Veranda und die Treppe davon.
    »Ich kann’s nicht leiden, auf einem kalten Sitz zu hocken«, sagte der alte Mann und zog seine Hosenträger von den Schultern.
    Er schaute in das Wohnzimmer, um zu sehen, ob Mrs. Lamb da war, aber das Zimmer war leer, und das Haus wirkte vollkommen betäubt. Der Regen hatte aufgehört, und er konnte hören, wie das Wasser in die Pfützen unter der Dachtraufe tropfte. Er horchte auf einen Vogel in den Bäumen und dachte an Newel in seinem kühlen Bett und an W., der mit einem merkwürdigen Blick die hohle Kammer eines Luftgewehres musterte und sich fragte, warum er nicht Basebälle warf, nicht Autogramme gab, nicht der gefeierte Star irgendeiner Stadt war, statt das zu tun, was er jetzt tat. Und das alles vermittelte ihm ein seltsames Gefühl, als ob er etwas, das ganz in seiner Nähe geschah, nicht mitkriegen würde, weil er es aufgrund irgendeines Defekts nicht sehen konnte. Er horchte auf den süßen

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