Ein Stueck vom Himmel
am Drachenberg (2635 m) bei Vättis in der Ostschweiz aufstiegen, umgab uns dichter Nebel. Als er sich etwas lichtete, sahen wir hoch über einer steilen rasendurchsetzten Felswand den Höhleneingang. Da mussten wir hinauf. Da sind auch schon die Jäger der Altsteinzeit hinauf.
Der Aufstieg zur Höhle verlangt heute Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. An manchen Stellen mussten wir sogar Hand an den Fels legen. Auch der Aufstieg zur Knochenhöhle in der Ramesch-Nordwand (Totes Gebirge, Oberösterreich) – in der Steinwerkzeuge aus der Zeit 64.000 bis 31.000 Jahre vor heute ausgegraben wurden – verlangt geübte Berggeher.
Natürlich können sich diese Zustiege im Verlauf der Jahrzehntausende verändert haben, sie können leichter oder auch schwieriger geworden sein. Aber steil waren sie jedenfalls schon immer. Den Prähistorikern verdanken wir die Erkenntnis, dass die Alpen schon vor zehntausenden Jahren für den Menschen ein Lebensraum waren.
1917 war der Lehrer Theophil Nigg aus Vättis zum Drachenloch aufgestiegen, um darin nach Höhlenbärenknochen zu suchen. Er fand mehr; machte Funde, die bewiesen, dass schon der Mensch der Altsteinzeit in der Höhle war. Von 1917 bis 1923 fanden dann in der Höhle unter dem Leiter des Naturwissenschaftlichen Museums in St. Gallen Emil Bächler planmäßige Ausgrabungen statt. Dabei wurde eine kleine primitive Schäferhütte in den Sommermonaten zur Forschungsstation. Von ihr stiegen die Ausgräber täglich die fast 400 Höhenmeter zu dem feuchten, finsteren Arbeitsplatz auf. Eine Schwerarbeit war das Graben, bis erst in ein bis zwei Meter Tiefe die Fundschicht erreicht wurde.
Nur die Sonntage verbrachten die Ausgräber unten im Tal und auch die Schlechtwettertage, wenn Neuschnee und große Lawinengefahr den Aufstieg zur Höhle unmöglich machten. Mehr als 1100 Höhenmeter musste jedes Stück Brot, jede Konservendose auf einem sausteilen Weg zu der Schäferhütte hinaufgetragen werden. Zwei Ziegen versorgten die Ausgräber mit Milch. Sie waren aber auch zuverlässige Wetterpropheten ... bei Wetterstürzen waren sie schon lange vorher talwärts geflitzt. Als wir 1962 in der Schäferhütte übernachteten, war der schwere Holztisch darin höchstwahrscheinlich noch derselbe, an dem die Forscher nicht nur gegessen, sondern auch die untertags gemachten Funde darauf ausgebreitet und über sie diskutiert hatten. Es war für uns schon etwas Erhebendes, an einem solchen Tisch Wurstbrote zu essen ...
Nachdem wir in wind- und wasserdichten Anoraks und festen Bergschuhen am nächsten Morgen zum Drachenloch aufgestiegen sind und dann in dem finsteren, feuchten Loch hockten – da sahen wir im Neandertaler nur noch einen Übermenschen. Er war diesen Weg in Fellpatschen gegangen und nur in ein Bärenfell gehüllt (das ein dürftiger Kälteschutz war).
Nachdem die Jäger die in der Höhle schlafenden Bären erlegt hatten, sind sie dann so lange in dem finsteren Loch verblieben, bis sie die Jagdbeute voll und ganz verspeist hatten. (Aus Steinen gebildete Feuerstellen mit Aschenresten sowie Steinmesser konnten von den Ausgräbern freigelegt werden.)
Diese Gelage waren Sternstunden im Leben des Neandertalers, den die Jagd nach fetter Beute auch zum ersten alpinen Bergsteiger werden ließ. Sonst gab es nur Entbehrungen, Müh und Plage. Und je öfter wir auf den Spuren dieser Menschen unterwegs waren, um mehr über ihr Leben zu ergründen, desto unerträglicher erschien uns dieses. Aber sie müssen es doch als lebenswert empfunden haben – sonst hätten sie es nicht ausgehalten.
Die »Mogel-Geburtsstunde« des Alpinismus
Der italienische Dichter Francesco Petrarca (1304–1347) erstieg am 26. April 1336 den Mont Ventoux (1912 m) in den französischen Alpen. Er hatte den Berg seit seiner Jugend vor Augen gehabt und wollte einmal auf ihm oben gewesen sein. Und gleich nach seiner Ersteigung schickte er an Kardinal Colonna einen Brief, in dem er genau den Aufstieg wie auch die Aussicht vom Gipfel beschrieb. Voll Staunen hatte er auf die Wolken zu seinen Füßen geschaut. Bevor es Bergbahnen und Flugzeuge gab, waren es nur Bergsteiger, die auf Wolken hinabschauen konnten.
Schon lange vor dem Jahr 1336 wurden Berge von Menschen aus den verschiedensten Beweggründen erstiegen. Und niemand weiß, wann und wo der erste Mensch einen Berg erstiegen hat, nur weil er auf ihm oben gewesen sein wollte. Trotz alledem wurde für die Alpinhistoriker des 19. Jahrhunderts das Ersteigungsjahr des Mont
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