Ein Stueck vom Himmel
Gebirgsverein eine von der Bergsteigergruppe veranstaltete »Bergsteigerschule« statt, bei der wir die Seilschaftsführer waren. Nach etwa zehn theoretischen Vorträgen kletterten wir mit den Leuten am Peilstein, an der Hohen Wand, am Schneeberg und an der Rax, Abschluss war eine Tour am Hochschwab oder im Gesäuse. Alljährlich gab es etwa 50 bis 80 Teilnehmer. Natürlich war es uns klar, dass nicht alle für ihr Leben lang Bergsteiger blieben. Einigen war es doch zu gefährlich, aber weit mehr hatten andere Gründe fürs Aufhören ... die Familie, der Beruf ... Wir waren trotzdem mit Begeisterung bei der Sache. Auch uns hatte jemand das Anseilen und Abseilen gelehrt – wir wollten es weitergeben.
Jahrzehnte später schaute mich ein Mann in der Straßenbahn lange an und sagte dann: »Du bist doch der Charly? Kennst mich nimmer? Ich bin’s – der Rudi!«
Vor etwa einem Vierteljahrhundert war er Teilnehmer unserer Bergsteigerschule und wir hatten den Richterweg am Schneeberg gemacht. Und bei dem Wiedersehen in der Straßenbahn fing er sofort zum Erzählen an – so als ob das erst gestern gewesen wäre. Er erzählte von der Verschneidung (die ihm nicht schwergefallen ist) und von der Schlüsselstelle (vor der ich ihm gesagt hatte, wo der entscheidende Griff ist). Und ob ich mich noch erinnern kann, wie er bummfest auf dem Seil gestanden ist und ich nicht weiterklettern konnte?
»So wie du damals geflucht hast – das kannst du nicht vergessen haben!«
Hätte ich ein Halleluja anstimmen sollen?
Rudi war nicht der Einzige, den ich von unserer alten Bergsteigerschule wiedergetroffen habe. Im Verlauf der Zeit begegnete ich auch noch anderen, und sie alle hatten eines gemeinsam: Ihre ersten Klettereien im Fels waren ihnen unvergesslich geblieben (ganz gleich, ob sie es bald oder erst später wieder aufgegeben hatten). Von allen diesen Begegnungen gab es auch eine, die für mich zu einer großen Überraschung wurde ...
Das war das Wiedersehen mit dem »Hungerl«. So hatten wir ihn genannt, weil er erstens nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien, und zweitens, weil er beim Klettern so langsam und bedächtig war, dass wir sagten: »Abstürzen kann der Kerl nie, der kann höchstens einmal auf einem Tritt verhungern!«
Zum Abschluss des Kletterkurses machten wir im Gesäuse den Westgrat am Großen Buchstein. Noch nie war mir der an sich kurze Westgrat so lang vorgekommen wie damals mit dem Hungerl am Seil. Als wir schon in Gipfelnähe waren, näherte sich von Westen ein Gewitter. Der Hungerl schaute sich trotzdem jeden Griff erst dreimal ganz genau an, bevor er ihn einmal ergriff.
Rumms! Drüben am Reichenstein hatte ein Blitz eingeschlagen! Der Reichenstein ist nur drei, vier Kilometer Luftlinie vom Buchstein entfernt. Ich brüllte zum Hungerl hinab, dass er etwas Tempo zulegen solle ...
»Lass dir Zeit! Die Blitze brauchen schon noch eine gute Weile, bis sie vom Reichenstein bis zu uns herüberkommen!«, antwortete er seelenruhig. – Hätte der Hungerl diese unsere Welt eingerichtet, dann wären wahrscheinlich auch die Blitze langsam in der Luft verhungert.
Viele Jahre später musste ich als Zeuge in einer wohnungsrechtlichen Angelegenheit vor Gericht. Ich war noch nie vor Gericht gewesen, war daher aufgeregt und schon eine halbe Stunde vor dem Termin dort.
Im Vorraum des Verhandlungssaales stauten sich die Menschenmassen. Ich fragte einen Beamten, ob bei diesem Andrang »mein« Prozess tatsächlich um 10 Uhr 30 beginnen würde.
»Aber sicher!«, sagte dieser. »Der Richter ist ein ganz Gschwinder, der macht kurzen Prozess!« Und tatsächlich: Die Flügeltüren des Gerichtssaales schwangen auf und zu wie die Türen einer U-Bahn-Station und punkt halb elf Uhr kamen wir dran ...
Ich traute meinen Augen nicht – der »ganz gschwinde« Richter war der Hungerl!
Das Fritzerl
Ein Sonntagmorgen im Weichtalhaus am Fuße der Rax. Es regnet. Nur eine Seilschaft ist losgezogen, bevor der Regen begonnen hatte. Aber die wird bald frisch gewaschen wieder zurückkommen ...
Sie kam nicht zurück. Sie soll trotz des Sauwetters in die Blechmauernverschneidung eingestiegen sein. Das ist eine der Klettereien »nur für die Guten«. Wer sind die Narrischen, die bei diesem Sauwetter in die Verschneidung eingestiegen sind? »Der Fredl und das Fritzerl!«
Fritzerl, die kleine Lehrerin, war bekannt. Nur 1 Meter 48 groß – aber immer froh und oho. An diesem Regentag im Herbst 1946 sah ich sie zum ersten Mal. Patschnass war
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