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Ein Stueck vom Himmel

Ein Stueck vom Himmel

Titel: Ein Stueck vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Lukan
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Eine der schönsten Kanten der Dolomiten. So wie immer gingen wir auch diesmal in Wechselführung. So wie immer fing auch diesmal Fritzerl mit der ersten Seillänge an. Dann ging es immer überschlagend weiter: Wer Glück hat, bekommt die schöneren Seillängen. (Wer Glück hat! In der Kleinen Watzmann-Westwand hatte ich einmal keines gehabt. Da war »meine« zweite Seillänge ein grauslicher Schotterhaufen gewesen und »meine« vierte Seillänge und überhaupt jede meiner Seillängen bis hinauf zum Gipfel, während Fritzerl alle Gustostückerln führen konnte!)
    Nach zwei Seillängen standen wir vor der Schlüsselstelle der Kante, einem überhängenden Riss. Er gehörte der Dame ... »Den schenk ich dir heut! Mir ist in den Fingern zu kalt!«, sagte die Dame.
    So etwas hört ein feuriger Vollblutmann natürlich gerne. Ich spreizte den Riss hoch bis zum ersten Haken, drei Meter oberhalb steckte der nächste ... Nach dem Riss war auch Fritzerl nicht mehr kalt, außerdem schien jetzt schon die Sonne auf die Felsen. Und dort, wo dann die Kante ganz steil wird, wollte sie den »geschenkten« Riss wieder zurückhaben: Ich sollte sie zwei Kantenseillängen nacheinander führen lassen.
    Ich war dagegen: »Geschenke gibt man nicht zurück!«
    »Du bist ein Schuft!«
    »Weißt du, wie herrlich es ist, an dieser Kante ein Schuft zu sein?« Gleich darauf stand ich vor zwei Möglichkeiten: Geht’s links oder rechts höher? Ich fragte Fritzerl; sie kannte die Kante schon.
    »Nach dreißig Jahren soll ich das noch wissen?«
    Auf dem Paternsattel standen jetzt schon mindestens 200 Menschen und schauten uns zu. Manchmal trug der sanfte Sommerwind sogar einige Gesprächsfetzen bis zu uns herauf.
    Fritzerl sagte: »Charly, ich mach ein Foto. Klettere so weit an die Kante, bis du zur Silhouette wirst!«
    Ich kletterte an die Kante, wurde zur Silhouette ... da verdeckte ein kleines Wölkchen die Sonne. Bis sie wiederkam, hatte ich fast Wurzeln auf den kleinen Tritten geschlagen. Und unten auf dem Paternsattel rief ganz aufgeregt einer unserer Zuschauer: »Der Mann hat sich verstiegen ... kann nicht mehr weiter!«
    Noch vor Mittag erreichten wir den Gipfel. Mir war er so vertraut, als ob ich erst gestern da gewesen wäre. Ich sah auch sofort den kleinen Felsblock, auf dem Hansl und ich nach der Nordwand gerastet hatten. Kaum zehn Minuten waren es, die wir damals auf dem Gipfel verbrachten – aber vergessen habe ich diese nie! »Die schönsten Dinge erlebt man schon in der Gegenwart als Erinnerung«, hatte der Wiener Literat Anton Kuh einmal geschrieben.
    Zwei junge Tiroler kamen über den Normalweg herauf. Wir kannten uns vom Matratzenlager der Auronzohütte. Die beiden waren erstaunt, uns da auf dem Gipfel der »Großen« zu treffen, sie hatten uns unterwegs gar nicht gesehen. Wir sagten, dass wir über die Kante gekommen wären.
    Über die Kante? Die hatten die zwei Jungen eigentlich auch machen wollen. Aber am Morgen waren ihnen dann Zweifel gekommen, ob sie diese auch derpacken könnten, das Wegsuchen vor allem ...
    »Burschen, ihr hättet doch hinter uns nachgehen können!«, sagte ich.
    Etwas verlegen meinte dann der eine: »Seid’s uns nit bös, aber euch zwei hätten wir nie und nimmer für Kletterer gehalten!«
    Dreißig Jahre. Große Erinnerungen können der Zeit widerstehen. Der Mensch nicht.
    Wie richtige Kletterer sahen hingegen die vier Männer aus, die etwas später über den Normalweg heraufkamen. Schweißtriefende Gesichter unterm Steinschlaghelm, Klettergurte über strammen Bäuchen, und wie Superbergsteiger waren sie behangen mit Hammer und Haken, Karabinern und Klemmkeilen, Sicherungs- und Abseilschlingen und sonstigem Ausrüstungsklimbim. Grußlos betraten die vier den Gipfel – aber nicht, weil sie so arrogant waren, sondern weil ihnen zum Reden einfach die Luft fehlte. Fünf Stunden hatten sie für den Anstieg gebraucht und dabei sollen sie – nach Augenzeugenberichten – ganz grausig gemurkst haben. Aber den Mastwurf beherrschten sie dafür einwandfrei; nur als wir dann den Gipfel verlassen wollten, konnten wir das nicht, weil die Mastwurfakrobaten in ihrer Aufregung alle auf dem Gipfel Anwesenden mit ihrem Seil festgebunden hatten. Beim Abstieg haben sie dann biwakiert.
    Fritzerl und ich blieben nach dem Abstieg noch ein bisserl am Wandfuß der Großen Zinne sitzen und genossen die Stille. Vor dreißig Jahren gab es noch viel Stille um die Drei Zinnen. Nur um die Mittagszeit kamen einige Sommerfrischler aus

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